Mira und die verwunschenen Kugeln (German Edition)
mehr fragen, wo sie gewesen war, solange Mira nicht mehr diese ungewaschenen Zauberer in die Wohnung schleppte.
Und so willigte sie auch gleich ein, den großen Spiegel im Flur zu verhängen, als Mira das nach dem Abendessen vorschlug.
Anschließend lud Tante Lisbeth Mira ein, mit ihr einen Krimi im Fernsehen anzuschauen, aber Mira schüttelte nur den Kopf. Sie hatte keine Lust, mit ihrer Tante den Mörder zu erraten und dabei salzige Erdnüsse aus einer Dose zu vertilgen. Aufregung hatte sie schließlich schon genug.
So verabschiedete sie sich eilig, um nach oben in ihr Zimmer zu gehen.
Dort wickelte sie als Erstes den goldenen Standspiegel, in dem sich einst der weiße Drache so eitel bewundert hatte, in ein Tuch und stellte ihn vom Nachttisch in den Kleiderschrank.
Keiner würde sie nun mehr durch die Fernsichtkugel sehen können. Mira starrte auf ihre Hände und sah, wie sie zitterten. Dass Miranda und Rabeus um Mitternacht die Kugeln stehlen wollten, lag ihr wie ein Stein im Magen. Nicht minder bedrückte sie, dass sie sich in der Zukunft mit Miranda um die Kugeln streiten sollte. Warum nur? Und wo war dieses seltsame Zimmer mit dem runden Fenster? Mira legte sich auf das Bett. Draußen färbte die untergehende Sonne die vorbeiziehenden Wolken rot, und plötzlich fühlte sich Mira sehr, sehr müde.
Als sie erwachte, war es schon ganz dunkel. Voller Schreck sah sie zu dem großen Radiowecker, der neben ihr auf dem Nachttischchen stand. Halb zwölf! Das Fenster stand offen und die Vorhänge wehten sanft in der immer noch warmen Nachtluft. In der Ferne zuckten Blitze, aber es war noch kein Donner zu hören.
Leise öffnete Mira die Zimmertür. Alles war still im Flur. Auch unten aus der Glastür zum Wohnzimmer drang kein blaues Fernsehlicht. Der Mörder war wohl längst gefasst und Tante Lisbeth im Bett.
Als Mira sich leise zur Treppe schlich, hörte sie aus dem Schlafzimmer ein lautes Schnarchen. Sie ging auf Zehenspitzen die Treppenstufen nach unten, steckte sich am Schlüsselbrett Tante Lisbeths Schlüssel ein und quetschte sich durch die Tür nach draußen.
Ein leichter Wind kam auf, während sie durch die nächtliche Stadt lief, aber die Luft war immer noch heiß und drückend.
Als Mira am Jahrmarkt ankam, wunderte sie sich, wie still alles war. Die Gassen waren menschenleer und die bunten Lichter der Fahrgeschäfte erloschen. Nur die Straßenlaternen warfen ihr fahles Licht auf die dunklen Buden, die mit Vorhängeschlössern gesichert waren.
Die Gondeln am Riesenrad schaukelten quietschend hin und her und die Ketten des Karussells gegenüber klirrten leise. Von den Wohnwagen auf der anderen Seite hallten Stimmen herüber. Mira setzte sich auf die Holzstufen vor dem Kassenhäuschen und wartete.
Die Kirchturmuhr schlug vier Mal dumpf und dann zwölf Mal mit einem helleren Ton. Mitternacht! Mira kauerte sich in den Schatten des Riesenrads und sah zu, wie der Wind mit zwei Pappbechern spielte, die klappernd über den Boden tanzten.
Als sie aufblickte, bemerkte sie eine dunkle Gestalt, die direkt auf sie zukam. Ihr Herz blieb für einen Moment stehen. Doch die Gestalt winkte ihr zu.
»Rabeus!« Mira schossen Tränen der Erleichterung in die Augen.
Der Junge kam näher, kickte die Pappbecher weg und setzte sich neben Mira auf die Treppe. Er sah besorgt aus.
»Wo ist denn Miranda?«, fragte Mira. Rabeus zuckte mit den Achseln. »Weiß nicht. Nachdem du aufgebrochen bist, ist sie auch gleich gegangen. Sie wollte mir aber nicht sagen, was los ist.«
Rabeus fuhr sich durch seine pechschwarzen Haare. »Vielleicht hätte ich ihr hinterhergehen sollen. Sie war so komisch.«
Miras Herz zog sich einen Moment zusammen, als sie an diesen eigenartig finsteren Blick dachte, den die Freundin ihr zugeworfen hatte.
»Sie kommt sicher noch«, sagte sie und versuchte ihrer Stimme einen überzeugenden Klang zu geben. »Sie hat es ja versprochen.«
Doch Miranda kam nicht. Nicht nach einem weiteren Schlag der Kirchturmuhr und auch nicht nach zweien. Der Wind wurde stärker und die Luft drückender.
Einmal torkelte ein Mann über den leeren Rummelplatz und schoss eine Bierflasche gegen das Absperrgitter, die dort klirrend zerschellte. Mira und Rabeus hielten den Atem an, doch der Betrunkene entdeckte sie nicht und kurz darauf taumelte er dem Ausgang entgegen.
»Ich hätte sie nicht alleine gehen lassen sollen«, murmelte Rabeus. »Sie ist schließlich in großer Gefahr.«
»Das sind wir doch auch«, erwiderte Mira.
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