Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
zuschütten – damit hätte er sich ja selbst in der Festung eingesperrt.«
»E r läss t si e bewachen?«
Múria nickte und ihre Alabasterhaut wirkte mit einem Mal nicht mehr vornehm blass, sondern asc h fahl.
»Da unten gibt es etwas Dunkles… Kaltes«, flüsterte Twikus. Die Herrin der Seeigelwarte sah ihn durchdringend an. »Du
kannst es ebenfalls spüren?«
»Ja. Wir beide. Ergil hat es schon bemerkt, nachdem wir den unterirdischen Lauf des Fendenspunds verlassen haben. Aber er konnte sich dieses ›Gefühl der eisigen Glasscherbe‹ – so hat e r e s genann t – nicht erklären. Ebenso wenig wie ich letzte Nacht meinen Traum.«
Sie nickte und ihre Stimme klang mit einem Mal weich, voller Mitgefühl. »Ich habe den Schatten auf deiner Seele bemerkt. Kannst du darüber sprechen?«
Er berichtete von der lichtlosen Lohe, die ganz Soodland unter einer schwarzen Eisschicht begraben, den Himmel verdunkelt und am Ende auch ihn mit ihrer Kälte gelähmt hatte.
»Bist du auf die Spitze des Fahnenmastes gefallen oder hat dein Herz einfach aufgehört zu schlagen?«, fragte Múria, nachdem seine Worte in einem bangen Schweigen versickert waren.
»Weder noch. Ich hatte mich gegen mein Schicksal angestemmt und bin dann aufgewacht.«
Ein Ausdruck der Erleichterung trat auf ihr Gesicht. »Das ist gut. Wenn es darauf ankommt, weißt du anscheinend sogar im Traum deinen freien Willen zu verteidigen. Oder Der - de r- tut- was - ihm - gefällt hält seine schützende Hand über dich.«
»Verteidigen?«, wiederholte Twikus l e ise . »Wa r den n der Traum ein… Angriff?«
Múria wiegte den Kopf hin und her. »Möglicherweise. Die Wächter unter der Sooderburg entziehen sich meinem Blick.«
»Ich kann sie auch spüren«, sagte Schekira mit abwesender Miene.
»Und? Kennst du vielleicht ihre Natur, kleine Schwester?«, erkundigte sich Múria.
»Nein. Aber wie du glaube ich den Grund zu kennen.«
»Ist mir da gestern was entgangen?«, fragte Falgon.
»Kira und ich haben noch ein Gespräch unter Frauen geführt, nachdem ihr zu Bett gegangen wart: über die Mühsal, mit einem Haufen Männern wochenlang auf einem krebsgetriebenen Floß durch die Welt zu fahren; über die Empfindungen, die einen manchmal bei Nacht überkommen…«
»Spann uns nicht auf die Folter, Herrin. Warum können sich diese Wächter unter der Sooderbu r g soga r vo r di r verbergen?«
Múria sah zu der Elvin auf Twikus’ Schulter, um ihr den Vortritt zu lassen.
»Weil sie nicht in den Falten unserer Welt geboren wurden«, erklärte Schekira.
»Beim Allmächtigen!«, keuchte Falgon. »Wenn man euch so hört, könnte man fast glauben, sie hätten sich mit den Brüdern Magon und Magos verbündet.«
»Die Götter haben ihre Meister gefunden, Magon schon vor vielen Äonen und Magos…« Múrias Stimme verstummte, doch Falgon griff ihren Gedanken auf.
»… wurde vom tapferen Jazzar - fajim besiegt, obwohl er den Preis kannte: ›Nur wer sein Leben aufgibt, kann ihn bezwingen.‹« Er legte seine Hand auf die ihre. »Verzeih, Herrin, wenn ich an deine alte Wunde rühre.«
»Sie ist vernarbt«, erklärte sie leise, ohne sich ihm zu entziehen.
»Mit was für Kreaturen hat sich Wikander da nur eingelassen!«, jammerte Dormund mit Blick auf seinen Tischnachbarn. Er knetete seinen Kopf zunehmend intensiver.
»Was fragst du mich?«, brummte Falgon. »Wenn es Inimai, die Elvin und der Erbe der Sirilim nicht wissen oder… nicht wahrnehmen können, dann vermag uns niemand zu helfen.« Ihm wurde bewusst, dass Twikus seine Hand fixierte, und zog sie rasch zurück.
»Das könnte ein glücklicher Irrtum sein«, gab Múria lächelnd zu bedenken. »Wir müssten jemanden finden, der eben f alls nicht auf dieser Welt geboren wurde.«
»Gibt es denn so was?«, fragte der Schmied verwirrt.
»Ich muss zugeben, dass ich dem Äonenschläfer nie begegnet bin«, sagte Múria leise, als zweifle sie noch, ob sie ihr Wissen überhaupt preisgeben sollte.
»Der Äonenschläfer?«, wiederholte Twikus.
»Eigentlich ist sein Name Olam. Schon in meinen Kindertagen hat man sich von ihm erzählt. Es heißt, er sei ein weiser Mann von lauterem Herzen.«
»Ist er ein Sirilo? Weil er so alt ist, meine ich.«
»Nein. Er wurde von ihnen aber sehr geachtet. Sie nannten ihn den ›Träumer‹, womit sie nicht auf einen entrückten Geist, sondern auf sein entrücktes Wesen anspielten.«
»Ist mir zu hoch«, brummte Dormund. Er verschränkte die Arme über der
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