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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Häusern bis heute ihr sonnengelbes Aussehen verleiht. Am Tag scheint dieser Anstrich das Licht viel f ach zu reflektieren, so intensiv ist das Gelb selbst bei bleigrauem Himmel. Aber das wahre Wunder der Sonnenstadt zeigt sich in der Nacht…« Die Lehrerin ließ ihre Worte ins Hirn des Schülers einsickern und harrte eines Zeichens seiner Aufmerksamkeit.
    »Wun d er?«, echote Twikus. Seine tumbe Antwort war nicht ganz erwartungsgemäß, aber Múria ließ sie dennoch gelten.
    »Ja. Oder hast du je ein Haus gesehen, das in der Dunkelheit schimmert?«
    »Das ist nicht dein Ernst!«
    Sie lächelte. »Du wirst es erleben, mein Lieb e r. Nicht von ungefähr nennt man Seltensund ›die Stadt der immer scheinenden Sonne‹. Selbst wenn längst die Sterne am Himmel stehen, geben die Hauswände noch gedämpft das Licht ab, das sie tagsüber aufgesogen haben, und zwar bis weit nach Mitternacht. Nachtschwärmer können getrost die Fackel zu Hause lassen, es sei denn, sie kehren erst kurz vor Tagesanbruch heim.«
    Twikus wandte den Blick erneut der Stadt zu. Jetzt konnte er sie noch besser sehen, weil die Bäume immer spärlicher den Weg säumten.
    Seltensund war erheblich größer als Fungor und, nicht allein wegen seiner Farbe, von ganz anderer Art. Türme sah man nur wenige hier und kein einziger wankte. Im Osten schmiegte es sich an einen grünen See, der von den Wassern des Kandenbloods gespeist wurde. Zahlrei c he Segelschiffe drängten sich dort an den Kais. Der untere Hafenbezirk lag außerhalb der Stadtmauern, einer graubraunen Linie, hinter der das sonnengelbe Strahlen begann. Zwar hatten die meisten Häuser ebenfalls Spitzdächer – offenbar, um das Regenwasser schnell abzuleiten –, aber hier besaßen diese nur eine Schräge, die sich über die gesamte Breite des Gebäudes erstreckte und fast immer nach Westen ausgerichtet war. Dadurch entstand der Eindruck eines riesigen gelben Schuppenpanzers.
    Als die Sonne bereits dicht über dem Horizont stand, durchquerten die Gefährten endlich das Zwöl f - Katarakte - Tor. Twikus bemerkte, wie einer der Wachposten Múria respektvoll zunickte. Auf dem Weg hatte es schon mehrfach Kundgebungen des Wiedererkennens gegeben, die allerdings nicht alle von Achtung zeugten. Auch in der Stadt winkten ihr einige Menschen zu, andere zeigten mit den Fingern auf sie oder steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Der Ruf der
    »Kräuterhexe« war in der Stadt offenkundig zweigeteilt. Feuerwind und Múrias Stute Kavitha pflügten nebeneinander
    in verhaltenem Schritt durch die Menge. Falgon und Dormund folgten in lockerem Abstand. Die vier Reiter waren nicht auf Anhieb als Gruppe zu erkennen. Twikus tätschelte unentwegt den Hals seines Fuchses, der seit dem Aufbruch von der Seeigelwarte ungewöhnlich nervös war. Mal benahm sich das Schlachtross wie ein übermütiges Fohlen, dann wieder stupste es die Stute mit dem weichen Maul. Doch Kavitha reagierte  auf die plumpen Annäherungsversuche des Hengstes mit demselben Gleichmut wie ihre Herrin auf die Avancen männlicher Verehrer.
    Schekira saß jetzt, nach wie vor in der Gestalt eines schillernd bunten Eisvogels, auf der Schulter des Prinzen. Er fühlte nicht nur ihre Krallen, sondern glaubte auch das Unbehagen zu spüren, das ihr die vielen Menschen, Tiere, Karren, der Gestank und die gelben Häuser bereiteten. Für sie musste die Stadt wie ein trüber, wimmelnder, übel riechender Tümpel sein, der ihre Sinne völlig durcheinander brachte. Der ideale Lebensraum für Spione, dachte Twikus. Wenn es hier solche gab und sie nach einem auffällig blonden Burschen Ausschau hielten, dann würde weder er noch die Elvin sie bemerken.
    Kurz hinter dem Tor bog Múria nach rechts in eine breitere Straße. Zahlreiche Handwerker gingen hier ihren Geschäften nach. Die offen stehenden Tore gaben den Blick ins Innere der Werkstätten frei. An etlichen Hauswänden standen Tische oder Regale mit den Waren. Twikus bestaunte das Angebot der Seiler, Böttcher, Kunstschmiede, Töpfer, Metzger, Käser, Lautenbauer und Sargschreiner.
    »Wie weit ist es noch?« Falgon hatte weiter aufgeschlossen, um seine Frage an Múria zu richten.
    Sie wandte den Kopf zur Seite. »Das Gasthaus Zum goldenen Anker liegt am Seltensunder See, also außerhalb der Mauern. Wir werden das Hafen - T o r gerade rechtzeitig vor Sonnenuntergang erreichen.«
    »Ist es wirklich nötig, die Jungen in das verruchteste Viertel der Stadt zu schleppen, Inimai?«
    »Ja, mein Lieber. Vertrau

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