Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
die Sonne den Zenit überschritten ha t te, kam Ergil auf die Idee, der Schaluppe einen Namen zu geben. Meerschaumprinzessin schlug er vor. Bombo empfand diese Maßnahme für unnötig, willigte dann aber doch ein.
Der frisch getauften Königstochter schien ihr neuer Name nicht zu gefallen. Sie wurde merklich langsamer. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, es lag nicht am Eigenwillen der Schaluppe. Launenhafte Böen spielten mit dem dreieckigen Segel, anstatt hineinzugreifen und die Meerschaumprinzessin voranzutreiben. Immer häufiger schlug das weiße Tuch knatternd hin und her.
»Das Killen des Segels liegt an den Luftverwirbelungen«, erklärte Bombo am frühen Nachmittag. »Der Wind ist zuletzt aus Nordost gekommen, aber der Groterspund hat sich nach Südsüdost gewandt. Jetzt hindern ihn die Bäume daran, in diesen Graben einzufallen. Was wir an Böen noch abbekommen, reicht nicht, um vernünftig zu segeln.«
»Das heißt, ab jetzt dürfen wir rudern«, brachte Falgon die Lage auf den Punkt.
»Ich bevorzuge das Wort pullen«, antwortete der Kapitän spitz. Die unablässi g e Schwüle hatte ihn reizbar gemacht, vor allem in Bezug auf Landratten ohne seemännische Erfahrung.
Dormund lachte. »Schweißtreibend ist das eine wie das andere. Richtig nass wird’s allerdings, wenn der Nachmittagsregen kommt. Wir können ja nicht gleichze i tig r u - , ich wollte sagen pullen und uns unter der Plane verkriechen. Na ja, wir haben sowieso damit gerechnet. Lasst uns die Ruder auspacken.«
Bombo verdrehte die Augen. »Das Ruder ist zum Steuern da. Was Ihr meint, sind die Riemen.«
»Na, dann setzt Euch ruhig ans Ruder, Kapitänchen. Wir wollen ja nicht, dass Ihr Euch überanstrengt.«
An diesem Vorschlag hatte Bombo nichts auszusetzen.
So legten sich also die kräftigsten Männer in die Riemen – Dormund, Falgon, Jonnin und Ergil –, während der schmächtige Kommandant das Boot lenkte.
Als die erste Nacht in den Sümpfen nahte, kehrte Schekira mit einer weiteren schlechten Nachricht von ihrem Erkundungsflug zurück. Sie deutete den Groterspund hinauf.
»Da vorne senken sich die Bäume tief über den Fluss. Mit Eurem Stängel werdet Ihr nicht mehr weit kommen.«
Bombo drehte sich fast der Magen um. »Das ist kein ›Stängel‹, Hoheit, sondern ein Mast.«
»Ihr müsst ihn trotzdem umlegen.«
Múria räusperte sich. »Es wird sowieso bald dunkel, Kapitän. Warum gehen wir nicht bei nächster Gelegenheit an Land und schlagen unser Lager auf? Ihr Männer könnt Euch dann um den Mast kümmern und ich zaubere uns eine schöne Suppe – keine Sorge, lieber Dormund, ich kenne mich mit Pflanzen aus, die ohne viel Rauch verbrennen.«
»Suppe klingt gut « , sagte der Schmied.
Das Pullen hatte die Männer angestrengt. Nachdem der Mast auf der Längsachse der Schaluppe verzurrt und das Abendessen eingenommen war, rollte man sich daher früh in die Decken. Bombo übernahm die erste Wache, Jonnin die nächste und Twikus – er war während des Mahls wieder aus seinem Versteck gekommen – hatte darauf bestanden, bis zum Morgengrauen auszuharren.
Kaum hatte man sich gegenseitig eine gute Nacht gewünscht, schliefen die Gefährten auch schon ein. Twikus tat sich wie schon am Abend zuvor schwerer damit, obwohl er auf einem weichen Bett aus Moos lag. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, blickte er zum aufgehenden Mond hinauf, der wie ein großer Apfelschnitz am Himmel hing. Ergil hatte gesagt, wenn sein Licht ganz erlosch, wür d e im Sternenspiegel eine unsichtbare Brücke erscheinen. Also in sechs Nächten. Genug Zeit, um die Sümpfe zu durchqueren.
Träge tanzten Samenflöckchen am Mond vorbei. Sehen ein bisschen aus wie die flaumigen Bälle der Pusteblume, dachte Twikus, bevor man d a gegen bläst und sie auseinander wirbeln. Er begann die Knäuel zu zählen. Eins, zwei, drei…
Zuerst verdichteten sich die einzelnen Samen zu Schwärmen und diese wiederum zu einer Wolke. Der Mond leuchtete durch das federleichte Gebilde hindurch und ließ es a uf eine unheimliche Weise erglühen. Es schien zu leben. Aber das, beruhigte sich Twikus, lag wohl nur an den Schatten, die sich an den dichteren Stellen versammelten und alle möglichen Trugbilder schufen: Er sah die wankenden Türme von Fungor, bewunderte Kapitän Bombos Meerschaumkönigin, erschauderte beim Anblick des Flederfischschwarms und erschrak, als sich plötzlich etwas Fremdartiges am Himmel abzeichnete.
Anfangs war es nur eine schlängelnde
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