Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
und mit ihnen verflog auch das Geräusch ihrer Flügel. Rasch entschwanden die lebenden Juwelen im orangeroten Licht des ewigen Morgens.
Als die überraschten Gefährten wieder ihre Köpfe sinken ließen und sich blinzelnd nach dem Weisen vom Sternenspiegel umsahen, war auch er verschwunden.
20
DER AUSERWÄHLTE
Mit der Strömung war alles viel leichter. In nur drei Tagen hatte die Schaluppe die Namenlosen Sümpfe durchquert. Um weiteren unangenehmen Überraschungen aus dem Weg zu gehen, waren die Gefährten auch nachts a uf dem Wasser geblieben. Nun kehrten auch endlich, mit jeder Meile lauter, die Stimmen des Urwaldes zurück. Die Morgennebel hatten sich längst verflüchtigt. Schekira erkundete schon wieder die Gegend. Es war der fünfte Tag seit dem Aufbruch vom Nordwestuf e r des Sternenspiegels. Spätestens bis zum Abend müssten sie den »Riesendaumen« erreichen, den Felsfinger, bei dem die Seskwin wartete. Obwohl es also durchaus Grund zum Optimismus gab, herrschte an Bord der Meerschaumprinzessin eine gedrückte Stimmung.
Die Schaluppe schnitt auf ihrem Kurs nach Norden mit halbem Wind durch die Fluten des Groterspund. Man musste also nicht pullen, die meisten Mitglieder der Gruppe konnten sich ungestört ihren düsteren Gedanken hingeben. Nur Jonnin wirkte gelöst – vielleicht, weil er das Segel des Öfteren neu trimmen musste und dadurch abgelenkt war.
Twikus stand am Bug und blickte stromabwärts, um nach der Seskwin Ausschau zu halten. Ab und zu warf er einen Blick zum Heck, wo Múria mit versteinertem Gesicht saß. Sie hatte sich von der Begegnung mit dem Weisen vom Sternenspiegel wohl sehr viel versprochen. So etwas wie ein Geheimrezept, dachte Twikus. In der Art von: Rühre den Löffel im Mausöhrleintee dreimal linksherum, spucke hinein und der böse, böse Großkönig wird tot umfallen.
Aber Olam hatte sie alle gefoppt.
Nein, das war vielleicht ein bisschen zu hart, korrigierte sich Twikus, indes hätte der Abgang des Äonenschläfers verwirrender kaum sein können.
Ist das, was ich hier tue, richtig oder falsch? Denkt gut über eure Antwort nach. Das hatte Twikus zur Genüge getan und er wurde immer noch nicht schlau aus dem sonderbaren Rat.
Ihre Stärke liegt allein in eurer Furcht. Mit dieser Äußerung hatte er sie ohne Ausnahme verunsichert. Sogar die sonst immer so gelassene Múria. Wenn d iese Worte alles waren, was er ihnen über die Wächter unter der Sooderburg sagen konnte, dann bestand wohl wirklich wenig Hoffnung.
»Ich gebe nicht auf«, hatte Twikus trotzig verkündet, nachdem die Gefährten wohlbehalten über den Sternenpfad ans Ufe r de s S ees zurückgekehrt waren. Die Dämmerung ließ gerade das Spiegelbild der Brücke verblassen.
Múrias Antwort war wie eine Ohrfeige gewesen. »Ohne einen neuen Plan ist dein leidenschaftlicher Durchhaltewille nicht s al s Dummheit.«
»Der Plan ist, Wikander vom Thr o n z u stürzen.«
»Das ist lediglich ein Wunsch, mein Lieber, aber keine durchdachte Vorgehensweise.«
»Ich vertraue darauf, dass Olam uns nicht im Stich lässt. Seine Worte müssen etwas bedeuten. Zur gegebenen Zeit werden wir sie verstehen.«
»Ist Ergil auch d eine r Meinung?«
»Er grübelt noch. Du kennst ihn ja.«
»Vielleicht solltest du auch erst gründlich nachdenken, bevor du einen Fehler begehst.«
Twikus hatte bockig in die Runde geschaut, ein aufmunterndes Lächeln gesucht, aber nur in graue, ausdruckslose Gesichter geblickt. »Ihr braucht mich ja nicht nach Soodland zu begleiten. Notfalls gehe ich auch allein«, hatte er aufsässig gesagt. Und dann waren seine Gefühle mit ihm durchgegangen und Wut hatte die Oberhand gewonnen.
»Hört ihr nicht, wie das Blut meiner e rmordeten Eltern nach Vergeltung schreit?! Außerdem sind Ergil und ich die rechtmäßigen Erben von Soodlands Thron, nicht Wikander. Wollt ihr einfach erlauben, dass er tut und lässt, was er will?«
Die meisten hatten betreten zu Boden geschaut, aber dann wa r es Falgon, der sich mit grimmiger Miene auf die Seite des Prinzen schlug.
»Als wir den Großen Alten hinter uns ließen, gab ich dir ein Versprechen. Es gilt nach wie vor. Ich bin zwar nicht begeistert von deinem Übermut, aber ich werde dich nicht allein ins Verderben ziehen lassen. Wenn es denn sein muss, gehe ich mit dir und deinem Bruder unter.«
»Lieber wäre uns natürlich, wenn wir heil aus der Sache rauskämen«, hatte Dormund ihm beigepflichtet, demonstrativ seinen Hammer über die Schulter
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