Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Schwäche, sondern eine Eigenschaft, die Tatkraft und einen festen Willen erfordert. Solange wir auf dem Thron von Soodland sitzen, werden Willkür und Unrecht in unserem Reich nicht geduldet werden.«
Ein Moment der Stille trat ein. Die gestandenen Könige schienen verwundert, mit welcher Entschlossenheit dieser junge Prinz sein Regierungsprogramm vorgetragen hatte. Dann war es Ergil selbst, der die Spannung auflöste.
»Aber jetzt gebt mir Gelegenheit, meine treuen Gefährten zu begrüßen.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, lief Ergil zu Tusan und fiel in seine ausgebreiteten Arme.
»Du hast mir schon wieder das Leben gerettet, Twikus.«
»Ic h bi n Ergil.«
Der Fährtensucher lachte schallend. »Mir auch recht. Lass dich drücken, Freund. Es ist so schön, wieder l e bendig zu sein!«
»Wie ich sehe, hast du die anderen in den Höhlen gefunden.«
»Dabei hat mir dein Mantel geholfen.«
»Nisrah?«
»Ja. Ich muss zugeben, dass es ein seltsames Gefühl ist, wenn man sich in fremden Labyrinthen zurechtfindet, ohne zu wissen, warum . «
»Hat der Weberknecht dir nicht erklärt…?«
»Nichts hat er gesagt. Ich glaube sogar, dass nur du mit ihm sprechen kannst. Deshalb bin ich nicht unfroh, ihn dir wieder wohlbehalten zurückgeben zu können.«
Tusan verzog das Gesicht, als er den dicken Wollumhang von seinen Schultern löste und ihn Ergil umlegte.
Endlich wieder zu Hause!, jubilierte Nisrah sogleich. Glücklich machst du mich, mein wortgewandter Freund, mein Verbündeter auf Lebenszeit.
Wir freuen uns auch, dich wohlbehalten wiederzuhaben. Aber solltest du nicht erst Twikus und mich fragen, bevor du einen Bund für die Ewigkeit verkündest?, erwiderte Ergils Gedankenstimme scherzhaft. Er hoffte, Twikus würde einen seiner trockenen Kommentare dazu abgeben, aber sein Bruder schwieg.
Wir haben ja jetzt v i el Zeit, um darüber zu reden, schlug der Netzling zur Güte vor.
Meinetwegen. Aber nicht jetzt, Nisrah. Ich muss noch ein paar andere Gefährten begrüßen.
Das tat er dann auch. Falgon hatte Tränen in den Augen, als er seinen Ziehsohn in die Arme schloss. Er klopfte Ergil so lange auf die Schulter, bis Nisrah um Gnade flehte. Zuletzt empfing Múria ihren Schüler mit ausgestreckten Händen.
»Du siehst müde aus«, stellte sie besorgt fest.
»Darf ich das nicht sein?«
»Natürlich darfst du das. Niemand von uns hat so viel gegebe n wi e du.«
Ergils Kinn sank herab. Er fing plötzlich an zu weinen.
Múria umarmte ihn und strich im liebevoll über den Kopf.
»Was bedrückt dich, mein Lieber?«
»Ihr…« Er schluchzte. »Ihr tut so, als wäre alles in bester Ordnung. Aber es gibt jemanden, der mehr gegeben hat als ich.« Er berichtete in aller Kürze von dem Kampf auf der Spitze des Knochenturms, von Schekiras beherztem Eingreifen und von ihrem Sturz in die Tiefe.
Wieder drückte die Herrin der Seeigelwarte ihn an ihre Brust.
»Sie hat sich aus Liebe zu dir, zu ihrem Volk und zu uns allen geopfert.« Und dann erzählte sie, wie ihre kleine Schwester noch vor Tusan und Nisrah in den Höhlen aufgekreuzt war und aufgeregt um eine Prise Mausöhrlein gebeten hatte.
»Habichtskraut?«, unterbrach Ergil ihren Bericht.
Múria nickte. »Das Korbblütengewächs, auf das alle Männer deiner Familie mit Erstickungsanfällen reagieren. Ich sagte der kleinen Schwester noch dasselbe wie dir – sie solle sich dem König von links nähern, weil er auf diesem Ohr taub ist.«
»Das hat sie getan. Aber der Oheim fegte sie trotzdem wie ein leidiges Insekt in den…«
Ergil verstummte, weil er plötzlich ein nur allzu vertrautes Geräusch vernahm: das Flattern schnellen Flügelschlags. Zuerst glaubte er, sein gramvernebelter Geist würde ihm einen bösen Streich spielen, aber dann sah er im Licht der Öllampen und Feuerbecken einen schillernden Vogel. Er flatterte durch die zweiflüglige Tür in den Ratssaal und landete auf seiner Schulter.
»Kira?« Seine Stimme zitterte vor freudiger Erregung.
»Ja, mein Retter«, antwortete die Elvin. »Ich bin es.«
»D u lebst?«
»Das will ich annehmen.«
»Aber ich dachte…«
»Der Schlag des Königs? Er hat mich einen Moment betäubt, aber das Sprichwort sagt, Elven haben sieben Leben.«
»D u meins t Katzen.«
»Die haben’s vo n un s abgeguckt.«
Beide brachen in ein glückliches Gelächter aus, das im Saal einige Verwirrung stiftete. Aber das war dem Prinzen und der winzigen Prinzessin völlig egal.
EPILOG
Der Sommer war
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