Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
beide Beine an und zerrte gleichzeitig den Gegner in Richtung seiner linken Schulter.
Der vom Schmerz halb betäubte König kippte über den Prinzen und damit auch über die Kante der Plattform hinweg. Augenblicklich drehte sich Twikus auf den Bauch herum, aber selbst wenn er gewollt hätte, er konnte seinen Oheim nicht mehr fassen. Der König von Soodland nahm den Weg, den zuvor schon sein schwarzes Schwert gegangen war, bis eine Windbö ihn erfasste und gegen die Klippen drückte, an deren vom Meer umtosten Grund sein Körper kurz darauf zerbarst.
28
DER RAT DER KÖNIGE
Sie lagen lange so da, das Gesicht zum wolkenlosen Himmel gewandt, das flatternde Drachenbanner im Blick. Jetzt wussten Twikus und Ergil, wie der Traum von der schwarzen Lohe endete. Aber sie konnten sich in diesem Moment nicht darüber freuen. Den Verlust des gläsernen Schwertes hätten sie noch verwinden können. Schekiras Tod hingegen mochte zwar für die Freiheit der Völker von Mirad ein verhältnismäßig geringer Preis sein, nicht aber für die Prinzen.
Twikus flüchtete auf seine Weise vor der für ihn unerträglichen Wirklichkeit. Er zog sich in sich selbst zurück und überließ seinem Bruder die Entscheidung, was nun mit ihrer beider Körper geschehen solle. Der Wechsel hatte gerade erst stattgefunden, als Ergil flinke Schritte hörte. Rasch setzte er sich auf.
Wenig später schob ein Soldat mit schussbereitem Pfeil seinen Oberkörper über die Kante der Plattform. Es war Popi.
»Du?«, fragte der Prinz erstaunt. Um seine Wehrlosigkeit unter Beweis zu stellen, hob er beide Hände.
Der kleine Soldat verzog das Gesicht. »Ich bin schwindelfrei. Außerdem kann ich gut mit Pfeil und Bogen umgehen. Nur deswegen hat Edelwin mich hier heraufgeschickt.«
Ergil konnte die Unsicherheit des jungen Mannes fühlen. Wohl deshalb sagte er freiheraus: »Wenn du mich erschießen willst, nur zu. Aber davon wird dein König auch nicht wieder lebendig.«
Popis Augen wurden groß. Bestürzt erklärte er: »O nein, Hoheit! Das muss ich nicht. Ich habe Befehl, Euch in den Ratssaal zu bringen.«
Ergil zuckte die Achseln. »Mir auch recht.«
»Entschuldigt bitte, Hoheit, es ist kein Misstrauen, aber würdet Ihr mit mir den Platz tauschen? Es macht auf meinen Hauptmann da unten einen besseren Eindruck, wenn der Gefangene vorangeht.«
Fa st hätte Ergil geschmunzelt, aber ihm war einfach nicht danach zumute. Widerstandslos ließ er sich zum Fuß des Knochenturmes und von dort aus durch den schnurgeraden
»Königsgang« in den Palast zurückführen. Bei der Durchquerung der Thronhalle konnte er ni c ht umhin, einem am Boden liegenden Skelett in Gardistenrüstung auszuweichen, was ihm Grund zu einigen schlimmen Befürchtungen gab.
Nach Verlassen des Raumes führten ihn Popi, Edelwin und zwei ihm unbekannte Leibgardisten durch mehrere Flure in einen anderen Saal, der nicht von ganz so ausladender Größe wie der vorhergehende war. Darin warteten an einem sechseckigen Tisch drei miradische Könige und ein Verräter, der ihnen nacheiferte: Hjalgord.
Letzterer war Ergil aus den wenig schmeichelhaften Beschreibung e n Bombos hinreichend bekannt. Der reichste Mann des Stromlandes war in einen ausladenden Mantel aus Hermelin gekleidet. Ein dünner Hals ragte daraus hervor. Darauf saß ein ungewöhnlich langer Kopf, auf dem seltsam unregelmäßig rote Haarbüschel sprießten. A us einem schmalen Gesicht mit Hakennase und eng stehenden Augen blickte der Erzfeind von Kapitän Bombo dem Gefangenen entgegen.
Die anderen drei Männer kannte Ergil nur vom Hörensagen. Einzig den dicken Entrin, der mit Wikanders Unterstützung in Pandorien seinen Vetter Borst vom Thron vertrieben hatte, glaubte er auf Grund von Beschreibungen zu erkennen.
Die Leibgardisten ließen Ergils Arme los, hielten aber ihre Lanzen weiter auf ihn gerichtet. Der Prinz ließ seinen Sirilimsinn ganz schwach aufglimmen. Zu mehr fehlte ihm die Kraft, aber es würde ihn vor unliebsamen Überraschungen bewahren.
Ausgerechnet Hjalgord eröffnete das Verhör.
»Nenne mir deinen Namen.«
»Ich dachte, den kennt Ihr bereits, Hjalgord«, erwiderte Ergil kühl. Die hohen Herren machten auf ihn nicht eben einen glücklichen Eindruck, obwohl Twikus und er sie doch gerade vom Joch eines grausamen Tyrannen befreit hatten.
Der Kaufmann funkelte ihn böse an. Es gefiel ihm offensichtlich nicht, so respektlos angeredet zu werden.
»Beantworte meine Fra g e, du dreister
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