Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
sich allerdings mit einer wilden Entschlossenheit vermischt hatte. Trotzig erwiderte er: »Noch haben wir Pfeile in unseren Köchern .«
»Ja, aber die Burschen sind jetzt gewarnt. Sie werden kaum dümmer sein als zuvor die Grotans. Während sie uns hier belagern, können sie in aller Ruhe einen neuen Schlachtplan aushecken. Vielleicht bauen sie sich selber Bogen oder werfen brennende Äste a uf uns herab.« Er deutete nach unten. »Dein Traum letzte Nacht – habe ich allein i m San d gelegen?«
Twikus’ Kinn sackte herab. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wo er sich befand. Hier, an diesem Uferplatz, hatte er Falgons reglosen Körper im eigenen Blut liegen sehen. Als wären die gerade erlebten Schrecken nicht schon schlimm genug, überkam ihn jetzt wieder die Angst um den Ziehvater, mit der er aus dem Schlaf erwacht war. Tränen brachen sich ihre Bahn. Unter energischem Kopfschütteln stieß Twikus hervor: »Ne i n! Es war doch nur ein Traum!«
Falgons mächtige Pranke packte den Oberarm des Jungen.
»Twikus, antworte mir! Hast du nur mich tot am Ufer erblickt?«
Der Junge schüttelte weiter den Kopf, antwortete aber: »Ja…
nur dich… Aber…«
»Es ist gut«, unterbrach ihn F algon mit sanfter Stimme. Er wirkte erleichtert.
Twikus fand diese Reaktion schlicht aberwitzig. Ihre Lage war nahezu aussichtslos. Um seiner verzweifelten Wut Luft zu machen, schoss er einen Pfeil senkrecht in die Luft und stieß hervor: »Gar nichts ist gut. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwa s zustößt , Oheim.«
Der Waldläufer lächelte. Er umfasste das Kinn seines Zöglings, betrachtete einen Moment dessen junges, trotziges Gesicht und erwiderte ruhig: »Das zu verhindern übersteigt deine Macht, mein Liebe r.«
Der zuletzt von Twikus ausgesandte Pfeil war inzwischen um- und zum Waldboden zurückgekehrt. Er bohrte sich in den Oberschenkel eines in Deckung liegenden Kämpfers, welcher seinem Schmerz lautstark Ausdruck verlieh.
»Wollen doch mal sehen, was wirklich in mir steckt«, lachte
Twikus, ohne dass es im Geringsten fröhlich klang.
»Haltet ein!«, rief unvermittelt eine Stimme. Sie hörte sich irgendwie blechern an, wohl weil sie sich erst ihren Weg aus dem Helm ihres Besitzers suchen musste.
Twikus riss einen n euen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn auf die Sehne und spannte den Bogen – alles in einer einzigen, fließenden Bewegung.
»Warte!«, sagte Falgon und hob beschwichtigend die Rechte.
»Diese Stimme… Ich habe sie schon früher gehört.«
Von links trat ein Mann hinter den Felsen hervor, die das Wasser von Jahrtausenden hier zusammengeschoben hatte. Es war der Recke mit den Flügeln am Helm. In seiner Hand lag ein kurzer, schwarzer Jagdspeer, der Falgons Lieblingswaffe wie ein Ei dem anderen glich. Der Ritter war mindestens einen Kopf größer als der Waldläufer. Hinter ihm verließ jetzt ein zweiter Krieger mit tonnenförmigem Helm die Deckung, gegen den der erste nur wie ein Zwerg erschien. Der Hüne war mit Lanze und Langschwert bewaffnet; zudem schützte er sich mit einem riesigen Schild.
»Hast du mich also gefunden«, sagte Falgon ruhig. Er ließ seinen Bogen über die Schulter gleiten und machte wie der andere den Speer wurfbereit.
Twikus starrte ihn verwundert an. »Ihr kennt euch?«
»Denke an deine Träume, dann wirst auch du wissen, wer da vo r di r steht.«
Der Junge war viel zu durcheinander, um sich zu erinnern.
»Du hast ihnen nichts verraten, stimmt’s?«, fragte der Mann mit dem Drachenhelm in spöttischem Ton.
»So wie Vania es mich geheißen hat«, antwortete Falgon ernst.
» Dann wird es Zeit, ihre Brut mit ein paar Wahrheiten vertraut zu machen.«
Falgon trat einen Schritt vor und hob drohend den schwarzen
Speer. »Ein falsches Wort und du stirbst.«
Sofort schnellte der baumlange Krieger vor, senkte die Lanze und schützte seinen Herrn mit dem Schild.
»Dazu musst du zuerst Drondis besiegen«, bemerkte der Anführer amüsiert. Er war jetzt für den Alten und seinen Schützling kaum noch zu sehen.
»Früher hättest du dir lieber eine Hand abgeschlagen, als jemand anderen für dich kämpfen zu lassen«, sagte Falgon angewidert.
»Die Zeiten haben sich geändert. Ich trage große Verantwortung. Da muss sogar meine legendäre Tollkühnheit zurückstehen, um die Sache des Großkönigs nicht zu gefährden.«
»Verräter!«, schnaubte Falgon voller Verachtung. »Du hast Torlund die Treue geschworen, nicht seinem doppelzüngigen Bruder.«
»Torlund war ein
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