Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Schwächling. Er hätte über kurz oder lang alle sechs Reiche ins Verderben gestürzt.«
»Du plapperst Wikanders Lügen nach wie ein kleines Kind. Ist seine Macht inzwischen so zwingend, dass selbst tapfere Männer, wie du einer gewesen bist, sich von ihm verführen lassen? Ich habe so etwas zwar befürchtet, aber es nicht…«
»Ist mir aufgefallen, Waffenmeister Falgon. Deswegen wolltest du mir nie sagen, wo sich dein Schlupfwinkel befindet, nicht wahr? Sei’s drum, die feinen Nasen der Grotans haben euch trotzdem aufgespürt. Wir brauchten den klugen Tierchen nur zu folgen. Doch genug der Plauderei. Gib mir die Hexenbrut und ich lasse dich laufen.«
Twikus hatte das unbestimmte Gefühl, dass von ihm die Rede war. Sein Pfeil lag noch immer auf der Sehne. Ein Zeichen von Falgon genügte, um das Geschoss freizugeben.
»Ha!«, machte der Waldläufer. »Glaubst du allen Ernstes, ich werde dir noch ein einziges Mal vertrauen? Dazu hättest du unser heutiges Treffen ein wenig feinfühliger anbahnen müssen.«
Der Junge begriff fast zu spät, dass sein Ziehvater nur Zeit schindete, um ihm etwas klar zu machen: Der Fremde wollte sie in Sicherheit wiegen. Sie sollten die Waffen strecken. Und dann würde er sie töten. Falgons letzte Bemerkung war also schon der erwartete Wink. Einen Wimpernschlag bevor der Waldläufer seine ganze Kraft in den Jagdspeer lenkte, wurde Twikus das endlich bewusst. Und dann ging alles rasend schnell.
Fast ansatzlos streckte s i ch der muskulöse Arm des einstigen Waffenmeisters von Soodland. Die Luft zischte, als das schwarze Geschoss auf den hünenhaften Leibwächter zuraste. Mit tödlicher Wucht prallte das Gewicht des Eisenholzes auf den Schild. Die Spitze aus siebenfach gefaltet e m Silmaostahl bohrte sich durch die eiserne Schutzhülle, das darunter liegende Holz und den Brustpanzer des Recken. Aber dann blieb sie stecken. Drondis schrie vor Schmerz auf, als der Speer ihm eine Rippe brach, aber er war nicht schwer genug verwundet, um seinen Kampfeswillen zu brechen, ganz im Gegenteil. Rasend vor Wut begann er unter seinem Helm zu brüllen.
Twikus’ ohnehin schon angekratzte Nerven hielten dem Druck nicht länger stand. Er hatte auf den Anführer gezielt, aber das Toben des verletzten Hünen verwirrte ihn, war er doch alles andere als ein hartgesottener Krieger. Er hatte nie gelernt, in einem Kampf um Leben und Tod kühl abzuwägen, verschiedene Bedrohungen nach ihrer Gefährlichkeit zu ordnen und sie dann nacheinander unschädlich zu machen. S omit war sein Fehler nur allzu verständlich.
Er wechselte blitzschnell sein Ziel und ließ die Sehne los. Zugleich schrie er wie irr seine Verzweiflung heraus.
Kurz bevor Drondis’ Lanze in Reichweite von Falgons Schwert gelangen konnte, drang der Pfeil ins rechte Sehloch des Tonnenhelms. Der Schütze verstummte, als die Attacke des Riesen jäh zum Ende kam. Von kalten Schauern durchwogt starrte Twikus auf die wankende Gestalt. Sie begann vor seinen Augen zu verschwimmen. Für die Dauer eines Wimpernschlags sah er einen anderen vor sich stehen. Es war Falgon, der entschieden mit dem Kopf schüttelte und sagte : Ich werde dir alles beibringen, aber nicht das Kriegshandwerk. Jetzt verstand Twikus, warum. Notwehr hin oder her – der schreckliche Gedanke, einen weiteren Menschen getötet zu haben, lähmte ihn für einen langen Moment. Lange genug für den kampferprobten Anführer.
Als dessen Leibwächter vor ihm zusammenbrach, schleuderte er den Speer.
Obwohl Falgon mit einem Angriff gerechnet haben musste, überraschte ihn wohl die Schnelligkeit, mit der sein Gegner den Verlust des Mitstreiters wegsteckte. Zu spät riss er Biberschwanz hoch, um das Wurfgeschoss abzuwehren.
Twikus, der versetzt hinter ihm stand, sah die Parierbewegung, hörte einen Schlag, hoffte, sein Ziehvater hätte die Waffe im letzten Moment doch noch von sich abgelenkt, aber dann sah er die Speerspitze aus Falgons Rücken ragen. Der Waldläufer stieß einen keuchenden Laut aus, dann sackte er auf die Knie.
»Oheim!«, schrie Twikus und wollte dem Verletzten zu Hil f e eilen.
Dieser Moment der Verwirrung genügte dem Anführer, um die Distanz zwischen sich und den Gegnern zu überbrücken. Während er über den Körper des toten Leibwächters sprang, riss er sein Schwert aus der Scheide. Mit dem ersten Streich schlug er Twikus den Bogen aus der Hand – so heftig, dass die Waffe in zwei Teile zerbrach. Der zweite Hieb galt Biberschwanz. Nutzlos fiel das
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