Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Wasser hinweg. Selbst Dormund fand an dieser etwas anderen Art des Reisens nach und nach Gefallen.
Mit Rücksicht auf die Pferde führten die Flussgolder ihr Krebsgefolge hin und wieder ans südlichere der beiden Ufer. Die Tiere brauchten nicht nur Bewegung, sondern vor allem auch Futter. Ihre Herrn nutzten derweil jede Gelegenheit, den aus der Waldhütte mitgebrachten Proviant mit Erjagtem aufzufüllen. Dabei erwies sich, weil sie für ihre Landgänge meist den Schutz der Dämmerung nutzten, die blinde Treffsicherheit von Twikus als unschätzbare Hilfe. Dormund entdeckte zudem eine alte Leidenschaft neu: das Angeln. Niem a nd musste hungern, aber zum Schlemmen reichte es auch wieder nicht. Die Reise war also alles andere als ein Zuckerschlecken, und das lag nicht allein am kargen Speisezettel.
Je weiter sie nach Norden kamen, desto kühler wurde es. Die Nächte wurden sogar bitterkalt und bei den Zwillingen stellte sich überraschend früh jene Dankbarkeit ein, die Falgon auf dem wilden Markt von Fungor vorhergesagt hatte. Dormund trug immer noch die Kleidung, die zwar in seiner überhitzten Schmiede angemessen, jetzt aber viel zu dünn war. Weil das ständige Eingewickeltsein in Borkes Satteldecke nur wenig zur Hebung seiner Laune beitrug, schwatzte Ergil den Krebsen jenen roten Mantel ab, der für sie beim Floßbau ohnehin eher hinderlich als vorteilhaft gewesen war. Das gute Stück wurde getrocknet und seinem neuen Eigentümer über die Schultern gelegt.
»Besser als die olle Pferdedecke«, sagte Falgon grinsend.
»Ich weiß nicht, ob der Prinz mir damit einen Gefallen getan hat. Ich sehe aus wie ein Weib.« Dormund wirkte ein wenig unglücklich, obwohl die wollene Hülle, die goldenen Knebel und der Pelzbesatz am Kragen auf einen durchaus erlauchten Vorbesitzer hindeuteten. Trotz seines kräftigen Körperbaus machte der Schmied in dem langen Mantel einen etwas verlorenen Eindruck. Die Ärmel musste er sogar umkrempeln, um seine Hände gebrauchen zu können. Spätestens als die nächste Nacht heraufzog, war er mit seiner ausgefallenen Neuerwerbung jedoch versöhnt.
Yogobo galt als das Königreich der Schafhirten, wenngleich es seinen Ruf als Fleischlieferant des Sechserbunds nicht den Schafen allein verdankte. Weil die Herdenbesitzer jedes Jahr auf uralten Routen durch das Land zogen, gab es wenige große Ortschaften. Für die Gefährten auf dem lebenden Floß war das ein glücklicher Umstand, den sie so richtig zu schätzen begannen, als sie zum ersten Mal unter Beschuss gerieten.
Der Zwischenfall ereignete sich neun Tage nach Beginn der Flussfahrt vor den Stadtmauern von Gorm, am bis dahin nördlichsten Punkt ihrer Reise. Fast die ganze Strecke über hatte der F endenspund den Grenzverlauf zwischen Yogobo und seinem nördlichen Nachbarkönigreich markiert. Während die Yogobos noch um ihre Freiheit kämpften, befand Pandorien sich schon fest in Wikanders Hand. Wie Dormund zu berichten wusste, unterhielten die Besatzu n gstruppen des Großkönigs in jedem halbwegs bedeutenden Ort Garnisonen, so auch in Gorm, das an einer strategisch wichtigen Stelle lag.
Bereits kurz nachdem die Dächer der Stadt am Horizont aufgetaucht waren, läuteten die Alarmglocken. Wenig später löste sich eine dunkle, flirrende Wolke von den Zinnen und raste auf das Floß zu.
»Allmächtiger! Das sind Pfeile! Geht in Deckung!«, schrie Falgon.
Der Rat war gut gemeint, aber wo sollten sie sich verbergen? Twikus wollte sich mit einem Kopfsprung ins Wasser retten, als die beiden Flussgolder einen vibrierenden Pfeifton ausstießen. Sogleich entstand ein unheimliches Gebrodel und Geklackere unter dem Floß. Die Veränderung vollzog sich mit beängstigender Geschwindigkeit. Noch ehe die ersten Pfeile auf den scheinbar schutzlosen Haufen aus Treibgut niedergingen, hatte sich ein lebendiger, zur Stadt hin gewölbter Schild gebildet, der sogar die Pferde beschirmte. Dann prasselten auch schon die eisernen Spitzen auf die Panzer der Krustentiere.
»Das halte ich nicht aus!«, jammerte Dormund. Er stand geduckt hinter der rotbraunen Wand. Dutzende Stielaugen starrten ihn ausdruckslos an.
Die meisten Geschosse prallten einfach ab, weil die Krebse sich mit unglaublicher Geschicklichkeit schräg zu ihnen stellten, aber einige trafen trotzdem im tödlichen Winkel auf und durchbrachen die Kalkschilde. Twikus schauderte. Er hätte nie geglaubt, dass sterbende Krebse derart herzerweichend quieken konnten.
»Das sieht nicht gut aus.
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