Mirad 02 - Der König im König
nämlich auf dem Stuhl.
Türen, wie man sie in Soodland kannte, konnte Ergil nicht entdecken, was ihn zunächst beunruhigte. War er ein Gefangener? Aber dann gewahrte er rechts von sich einen Spalt, hinter dem ein Gang zu sehen war. Offenbar konnten ganze Teile der Wand verschoben werden, um hinaus- oder hereinzugelangen. Linker Hand machte er gleich darauf eine ähnliche Schiebetür aus.
Daneben erblickte er ein Mädchengesicht.
Ergil fuhr mit dem Oberkörper hoch, wodurch sich die gefühlte Größe seines Hauptes noch einmal verdoppelte und er, wie er glaubte, schmerzhaft am Mond oder irgendwelchen anderen Himmelskörpern entlangschrammte. Ein wahres Feuerwerk von Schmerzen explodierte in seinem Kopf. Als er sich an selbigen fasste, kam zu den bisherigen Entdeckungen noch eine weitere hinzu: ein dicker Verband.
Während die Illumination in seinem Schädel allmählich nachließ und sein Sehvermögen zurückkehrte, suchte er angestrengt nach dem Mädchengesicht. Er hatte es in einem Fenster gesehen, allerdings nur als Mosaik, weil ein filigranes Schnitzwerk aus rotem Holz die Lichtöffnung ausfüllte. Trotzdem oder gerade deshalb erschien es ihm wie das verschleierte Antlitz eines Engels. Die großen rotbraunen Augen glänzten wie Karneole und auf dem Haar lag der Schimmer reinsten Kupfers. Er hätte gerne einen zweiten Blick auf dieses anmutige Gesicht erhascht, aber jetzt konnte er hinter dem Gitterwerk nur noch ein grünes Wogen und ein wenig Himmelblau ausmachen – offenbar grenzte sein Krankenquartier an einen größeren Garten.
»Bestes Trinkwasser, gewonnen aus den Eisbergen des Nordmeeres«, sagte unvermittelt hinter ihm eine näselnde Stimme.
Ergil drehte sich um und sah den Medicus zum ersten Mal bis zu den Fußspitzen. Mujo war von kleiner Statur. Er trug, abgesehen von dem seltsamen Hut, weite Hosen und darüber ein langes Hemd aus weißer Seide. Wohl um die Schlichtheit nicht ausufern zu lassen, prangten darauf einige goldene Stickereien: Rautenmuster, Spiralen und andere geometrische Figuren. Seine Schuhe hatten weit nach oben gebogene Spitzen, an denen kleine Goldquasten hingen.
Dankbar nahm der junge König einen Kristallbecher von dem ihm dargereichten Tablett und trank ihn in großen Schlucken leer. Das Wasser war angenehm kühl und er glaubte, seine Reinheit schmecken zu können. Während Mujo den Becher aus einer kristallenen Karaffe nachfüllte, deutete Ergil zum Fenster und fragte: »Habt Ihr eine Helferin?«
Eine der beiden schmalen Augenbrauen des Medicus formte sich zu einem Spitzdach. »Wie belieben?«
»Hinter dem Rosenholzgitter dort habe ich eben ein Mädchen gesehen.«
»Das überrascht mich nicht.«
»Dann war es also keine Halluzination. Ist sie nun Eure Helferin?«
Das Gesicht des Arztes blieb ausdruckslos. »Wohl kaum. Sie kann es zwar nicht bleiben lassen, mir auf die Finger zu schauen und mich mit Fragen zur Heilkunst zu löchern, aber ihr Vater würde ihr nie erlauben, auch nur in die Nähe eines Kranken zu kommen.«
»Das klingt nach einem strengen Mann.«
»O ja, das ist er fürwahr!«
»Darf sie die Heilkunst nicht erlernen, weil sie ein Mädchen ist?«
Mujo schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Ihr ist es nicht gestattet, einen Kranken zu berühren, weil sie das einzige Kind des Mazars von Susan ist.«
Ein Brummen wie von einer übergroßen Hummel ließ Ergil abermals die Augen öffnen. Sein Kopf drehte sich unwillkürlich zum Fenster. Über dem wogenden Grün leuchtete mild ein aprikosenfarbener Himmel. So schön die Pastelltöne der Abenddämmerung auch waren, hätte er sich doch einen anderen Anblick gewünscht.
»Wenn du mich suchst, ich bin hier«, sagte eine helle und trotzdem volltönende Stimme.
Er hob den Kopf und drückte das Kinn auf die Brust. Direkt vor seiner Nase entdeckte er die Elvenprinzessin.
»Kira!«
»Hast du jemand anderen erwartet?«
»Äh… Naja…«
Sie kicherte. »Dann hast du sie also schon gesehen.«
»Wen?«
»Jetzt tu nicht so scheinheilig. Ich rede von Nishigo.«
»Die Tochter des Mazars?«
»Aha. Du hast den alten Medicus schon ausgequetscht.«
»Ehrlich gesagt ist er genauso redselig wie Falgon. Ich habe ihm eine Menge Fragen gestellt, aber nur wenige Antworten bekommen. Stattdessen hat er mich betäubt.«
»Ich bin überzeugt, er wollte dir nur ein wenig Ruhe verschaffen. Wie geht es dir und deinem Bruder jetzt?«
»Twikus schläft wie ein Stein, so viel kann ich spüren. Alles Weitere musst du ihn
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