Mirad 02 - Der König im König
aus dem Bett zu schieben. Sogar der Kopf spielte mit, abgesehen von einem leichten Ziehen an der linken Schläfe.
Seine Augen fixierten die einzige Lichtquelle im Gemach, ein kunstvoll geschnitztes Gitter, das silberne Sprenkel über den Teppich verstreute. Es hätte ihn nicht überrascht, dahinter das Mädchengesicht zu entdecken, aber der matte Schimmer kam vom Mond. Sein Blick wanderte zu dem Stuhl, auf dessen Rückenlehne seine Kleider und das gläserne Schwert lagen. Darauf saß eine fahle Gestalt.
Sie glich einem grübelnden Mann, der vornübergebeugt dasaß, den Ellbogen auf den Oberschenkel und den Kopf auf die Faust gestützt. Durch tausende kleiner Löcher schimmerte das Mondlicht durch sie hindurch. Twikus schrak zusammen.
Habe keine Angst. Ich bin es nur, sagte eine ihm allzu bekannte Geistesstimme.
»Nisrah?«, wunderte er sich, halb flüsternd, halb in Gedanken sprechend. Er musste seine Augen anstrengen, um die seltsame Erscheinung auf dem Stuhl besser erkennen zu können. Unwillkürlich wanderte seine Hand zu der Stelle im Nacken, wo sein Gespinstling sich mit ihm zu verbinden pflegte. Tatsächlich fand er dort einen dünnen Faden, der, wie er jetzt erst feststellte, vom Bett über den Boden bis zu dem Stuhl lief.
»Warum hast du diese Gestalt angenommen?«, fragte Twikus. Obwohl er weiterhin laut sprach, antwortete Nisrah auf die ihm einzig mögliche Weise.
Um es dir leichter zu machen, mich als den zu sehen, der ich für dich sein möchte.
»Du meinst, als Gespinstling.«
Diesmal nicht. Als Gespinstling habe ich dir in den letzten Wochen meine Kraft geliehen so wie du mir, aber das war nur eine Zweckgemeinschaft, wie wir Weberknechte sie auch mit Wildschweinen und Bergziegen pflegen.
»Danke für das Kompliment.«
Ist dir aufgefallen, dass wir während der Reise kaum miteinander gesprochen haben?
»Ich war der Ansicht, das sei Teil unserer Abmachung gewesen. Weißt du noch? Damals, nachdem wir das Tal der Fischer durchquert hatten.«
Der Netzling ließ den halb durchsichtigen Arm sinken und straffte den Rücken. Es sah aus, als würde er sein Gegenüber direkt anblicken. O ja! An jedes Wort erinnere ich mich. Ich dachte nur, nach dem Abenteuer im Zungenwald siehst du mich mit anderen Augen.
»Ich verstehe nicht…«
Als Freund.
»Aber wir sind Freunde, Nisrah!«
Ich komme mir eher wie ein geduldetes Anhängsel vor.
Twikus seufzte. War er etwa gar nicht vom Traumbild des Mädchens, sondern vom Grübeln seines Gespinstlings erwacht? »Nisrah«, begann er vorsichtig. »Für Ergil und mich bist du ein Anhängsel, aber nicht in dem Sinne, wie du offenbar glaubst. Nennt man so nicht auch ein kleines Schmuckstück, das man immer bei sich trägt, weil man es nicht missen will?«
Das sagst du nur, weil eure Sirilimsinne ohne mich taub und lahm wären.
»Wenn du das wirklich denkst…!« Twikus hatte zu einer heftigen Erwiderung angehoben, verstummte dann aber jäh. Traurig schüttelte er den Kopf. »Bedeutet denn Hilfe anzunehmen nur aus Eigennutz zu handeln? Ich weigere mich, das zu glauben, Nisrah. Wahre Gefährten müssen einander doch beistehen können, ohne sich ständig ausgenutzt zu fühlen oder sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie einen empfangenen Freundschaftsdienst zurückzahlen können. So verschieden wie meine Empfindungen für Múria und Falgon sind, so unterschiedlich sind auch die Gespräche, die wir miteinander führen. Bei Dormund und Popi ist es ähnlich. Und ebenso bei dir. Trotzdem würde ich für jeden Einzelnen von euch mein Leben geben.«
Auch für ein Anhängsel wie mich?
»Natürlich, ich will mein Schmuckstück doch nicht verlieren.« Der König schmunzelte. Nach einem tiefen Atemzug fügte er feierlich hinzu: »Nisrah, wenn ich deine Hilfe in den letzten Monaten für zu selbstverständlich gehalten habe, dann tut mir das aufrichtig Leid. Kannst du mir verzeihen?«
Das Trugbild eines von Spinnweben umhüllten Schattens löste sich plötzlich auf. Der Weberknecht rauschte wie ein seidiges Tuch auf den Boden hinab, floss hinüber zum Diwan, an diesem empor und legte sich wie ein Umhang über Twikus’ Schultern. Eine glückliche Stimme erscholl in seinem Geist.
O wie gerne ich das tu! Du hast keinen Grund, irgendetwas zu bedauern, lieber Freund.
»Danke. Mir fällt ein Stein vom Herzen.«
Dann müsstest du jetzt ja leichtfüßig genug für einen Spaziergang sein. Wie wärs? Ich erzähle dir, was seit deinem Abtauchen geschehen ist, und wir könnten
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