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Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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umdrehte, sah er dessen Prügel auf sich zukommen. Er duckte sich, aber diesmal reagierte er zu spät. Der Balken streifte ihn am Kopf.
    Benommen taumelte Twikus zur Seite, strauchelte und fiel rücklings zu Boden. Dabei erhielt sein Schädel einen weiteren Schlag. Eine dumpfe Übelkeit stieg aus seinem Innern auf. Alles um ihn her drehte sich. Über sich sah er einen dunklen Schemen mit sechs Gliedmaßen auftauchen. Das obere Paar reckte einen langen dicken Gegenstand in die Höhe und eine kalte, seltsam hallende Stimme sprach zu ihm.
    »Ihr werdet mich nie aufhalten, Söhne der zwei Völker. Jetzt trifft euch der Pfeil, mit dem ihr mich in Ostrich töten wolltet. Zum Lohn dafür schicke ich euch dahin, wo ich heute schon die Bartarin…«
    Die Worte des Zoforoths waren fern, als entschwinde er in eine tiefe Höhle, wo sie schließlich ganz verklangen und sein Schemen mit dem erhobenen Werkzeug des Todes in einer unauslotbaren Dunkelheit versank.

 
    16
     
    DAS MÄDCHEN AUS DEN TRÄUMEN
     
     
     
    Das Gefühl, die ganze Welt in sich zu tragen, breitete sich mit überwältigender Heftigkeit in ihm aus. Es begann in seinem Kopf und… Ergils benebeltes Bewusstsein kam ins Stocken. Nein, es blieb in seinem Kopf. Dessen Umfang musste beträchtlich zugenommen haben, was auch verständlich ist, wenn ganz Mirad in den Schädel passen sollte. Oder war sein Haupt selbst zur Welt geworden? Das würde er noch klären müssen. Zumindest vermittelte ihm sein Tastsinn nicht nur einen glaubhaften Eindruck ungeahnter Größe, sondern außerdem das Bewusstsein extremer Empfindsamkeit. Er konnte schmerzhaft spüren, wie die Bewohner der Welt auf ihm herumtrampelten. Jeden ihrer Schritte…
    »Na, das sieht doch schon ganz gut aus.«
    Ergil stutzte. Er versuchte die hohe Stimme einem bekannten Muster zuzuordnen. Twikus? Nein. Múria? Auf keinen Fall! Dieses Organ klang viel zu näselnd. Er schlug die Augen auf.
    Über ihm schwebte ein leicht verschwommenes Gesicht, das sich in diesem Moment zu einem halbherzigen Lächeln aufraffte. Es wirkte verbissen, hohlwangig und ein wenig gelblich. Auf der Oberlippe sprießte ein schütterer Bart, dessen lange Enden Ergil fast die Augen ausstachen. Eine Kopfbedeckung, bei der es sich um das Modell eines susanischen Tempels handeln musste, ließ vom Haupt des Mannes nur den strohigen grauen Randbewuchs erkennen.
    »Wer seid Ihr?«, fragte Ergil. Sein Mund fühlte sich an, als seien dort sämtliche Wüsten der Welt versammelt.
    Der Gefragte verneigte sich dreimal und antwortete: »Mein Name ist Mujo. Ich bin der Leibarzt des Mazars.«
    »Des Königs von Susan?«
    Der Medicus nickte, was wie eine weitere Verbeugung aussah. »In Eurem Land würdet Ihr es wohl so nennen, Majestät.«
    »Ihr wisst, wer ich bin?«
    Mujo zögerte. »Nicht genau, Majestät.«
    Ergils Verstand arbeitete noch nicht wieder mit voller Leistung. Deshalb dauerte es eine Weile, bis er die merkwürdige Antwort begriff. Er versuchte, einzelne Regionen seines überdimensionalen Gesichts mit jenem Lächeln zu überziehen, das bei höfischen Begrüßungszeremonien ausgeübt wurde.
    »Ich bin Ergil.«
    Der Medicus hob das Kinn und sagte: »Aha!«
    »Kann ich etwas zu trinken haben?«
    Wieder verneigte sich Mujo, nuschelte ein »Selbstverständlich, Majestät« und entschwand den Blicken des Patienten.
    Obwohl dieser sich damit Schmerzen von kontinentalen Ausmaßen einhandelte, neigte er den Kopf zur Seite. Der Leibarzt schien sich aus dem Raum gestohlen zu haben. Er war nirgends zu sehen. Dafür konnte Ergil eine Reihe anderer verwirrender Entdeckungen machen.
    Zunächst schweifte sein Blick etwas verloren durch das riesige Zimmer. Decke und Wände waren mit einem kostbaren, teilweise goldverzierten Schnitzwerk aus dunkelbraunen Holzbalken ausgestattet, die ein großes Gitter bildeten. Die gelblich weißen Zwischenräume sahen aus, als bestünden sie aus feinem Papier. In einigen der Rechtecke hingen Rahmen mit hübschen Tuschezeichnungen. Dichte Teppiche bedeckten in mehreren Lagen den Boden wie Laub im Herbstwald. Ansonsten war die Einrichtung sehr übersichtlich. Ergil entdeckte einen einzigen Stuhl.
    Das Möbelstück wirkte in dem großen Raum so verloren, als sei es nur zur Beruhigung des Gastes herbeigeschafft worden. Dabei ging es der dienstbaren Seele wohl weniger um die Bereitstellung einer vertrauten Sitzgelegenheit als vielmehr um die ansprechende Präsentation der sauber gebürsteten Kleider des Patienten. Diese lagen

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