Mirad 02 - Der König im König
verbunden.«
»Das lässt sich ändern. Ich kann ihn ja mal bitten, seine Körperfäden an deinen Nacken zu kleben.«
»Das ist sehr nett, aber ich verzichte gerne darauf, ein…« Er suchte nach dem passenden Wort.
»Gespinstling?«
»Ja, genau. Ich möchte lieber keiner sein.«
»Du könntest schneller einer werden, als dir lieb ist. Sollte Twikus und mir nämlich etwas zustoßen, musst du dich um Nisrah kümmern.«
»Warum kann ich ihn nicht einfach der nächsten Kuh umhängen?«
»Weil Nisrah so wie du mein Freund ist. Außerdem könnte ihn die Kälte umbringen; bis du das nächste Rindvieh fändest, wäre er so starr und spröde wie Eis. Hast du nicht doch mal Lust, ihn zu tragen?«
»Nein danke. Und da ich meinem Herrn nicht erlaube zu sterben, muss ich mir das Vergnügen auch nicht antun. Mir reicht es völlig, wenn ich deinen Kompass und die Nadel schleppe.«
Ergil schluckte. Die Anklagepunkte Nummer drei und vier wurden ihm erneut schmerzlich bewusst. »Soll ich sie dir für eine Weile abnehmen?«, fragte er halbherzig.
»Meinst du, ich weiß nicht, was allein die Nähe des schwarzen Kristalls für dich bedeutet? Wir lassen alles so, wie es ist. Vielleicht wirst du bald alle Kraft nötig haben, die in dir steckt.«
»Danke, Popi.«
»Kannst du dich noch entsinnen, was du seinerzeit im Thronsaal der Sooderburg zu mir gesagt hast, Ergil? An dem bewussten Tag meine ich, als plötzlich dein gläserner Gürtel verrückt gespielt hat.«
»Wir haben damals eine ganze Reihe tief schürfender Gedanken ausgetauscht.«
»Ja. Aber ich meine etwas ganz Bestimmtes. Du sagtest: Jeder habe eine besondere Gabe, er müsse sie nur entdecken und mit Umsicht gebrauchen. Und jeder habe seine Bestimmung, die er annehmen und ihr in Weisheit folgen müsse.«
»Ich erinnere mich. ›Manche suchen ein Leben lang danach, aber ich bin mir sicher, du wirst nicht so lange brauchen. ‹ Das habe ich noch hinzugefügt, oder?«
»Richtig. Nun denke ich mir, vielleicht ist es meine Bestimmung, den Kompass auf diesen Vulkan zu schleppen. Wenn das so ist, dann kann ich nicht einfach umdrehen. Ich habe meine Aufgabe demütig anzunehmen.«
Ergil musste unwillkürlich schmunzeln. Er mochte diesen kleinen Burschen, obwohl oder gerade weil dieser manches im Leben so einfach sah. »Ehrlich gesagt hatte ich dabei nicht an etwas so Alltägliches wie diese Plackerei gedacht.«
»Also für mich ist der Aufstieg zum Wohnsitz eines Gottes alles andere als gewöhnlich.«
Ergil seufzte. »Du hast Recht, Popi. Ich kann mich nur wiederholen: Danke für alles. Und… ich bin froh, in dieser schweren Stunde gerade dich bei mir zu haben.«
Eine Zeit lang hörte er hinter sich nur das regelmäßige Stapfen von Popis Schritten und glitt gerade wieder ins Grübeln ab, als der Knappe mit einem Mal sagte: »Du brauchst mir nicht danken. Ich muss dir Dank sagen. Für dein Vertrauen. Und für deine Freundschaft.«
Mit dieser Äußerung rieb Popi Salz in die Gewissenswunden des Königs und sie begannen erneut zu brennen. Doch zu Ergils Verwunderung war der Schmerz nicht mehr so stark. Sein kleiner Gefährte hatte ja erkennen lassen, dass er ihm gerne die Bürde der Ginkgonadel abnahm. Dadurch waren dem Angeklagten im dritten Tatvorwurf wohl so etwas wie mildernde Umstände eingeräumt worden.
Eine gute Weile marschierten die beiden weiter den Vulkanhang hinauf, bis plötzlich aus dem Tal ein Donnern erscholl. Sofort blieben sie stehen und spähten nach unten.
»Was war das?« Um den nur langsam abschwellenden Lärm zu übertönen, musste Ergil fast schreien.
»Keine Ahnung, aber ein Unwetter ist es wohl nicht.«
»Hört sich eher an, als wäre ein halber Berg abgegangen. Ob die anderen in Schwierigkeiten sind?« Das Rumoren war endlich zur Ruhe gekommen. Er glaubte am Eingang der Klamm eine Staubwolke auszumachen, die schwach glühte.
»Vielleicht war es eine ganz normale Gerölllawine.«
»Hast du auf unserem bisherigen Weg irgendwo Geröll bemerkt?«
Popi verneinte. »Sollen wir umkehren?«
»Ehrlich gesagt würde ich nichts lieber tun als das. Andererseits… Lass uns einen Blick auf die Ginkgonadel werfen.«
Der Knappe lud sein Paket ab, öffnete die Schnüre und befreite den Kompass aus dem Öltuch. Die Verpackung, das ständige Hin- und Herschwenken und wahrscheinlich auch das Tragen des Behälters am Körper hatten den flüssigen Inhalt vor dem Erhärten bewahrt. Er war nur etwas zäher als gewöhnlich, aber dem ließ sich mit der
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