Mirad 02 - Der König im König
voneinander lösten, wirkten beide gleichermaßen verlegen.
Ergil hielt seine Meisterin nun für ausreichend gefestigt, um ihr so schonend wie möglich beizubringen, dass sein Bruder nicht mehr lebte. Múria reagierte heftig. Sie schrie vor Entsetzen auf und begann bitterlich zu weinen. Nie zuvor hatte er bei ihr einen solchen Gefühlsausbruch erlebt. Erst als es Jazzar-fajim gelungen war, sie einigermaßen zu beruhigen, berichtete Ergil vom Ende des dunklen Gottes.
Hierauf seufzte Múria. Sie wirkte mit einem Mal zerbrechlich und unendlich müde, als sie mit bebender Stimme sagte: »Dann ist Twikus wenigstens nicht umsonst gestorben.«
Ergil musste selbst gegen die Tränen ankämpfen. »Wenn ich ihn und Falgon nur wieder lebendig machen könnte! So wie damals, als ich Trigas Speer aus der Brust des Oheims…«
»Daran darfst du nicht einmal denken!«, unterbrach sie ihn unerwartet heftig. Sie atmete geräuschvoll aus, bevor sie sanfter hinzufügte: »Als Falgon im Ansturm der Waggs fiel, hätte ich alles dafür gegeben, mit dir gemeinsam den Strom der Zeit umzulenken, um ihn ins Leben zurückzuholen. Aber die Gelegenheit dazu ist verstrichen.«
»Wieso? Im Großen Alten konnte ich doch auch…«
»Ja, weil du Falgon unmittelbar nach seinem Dahinscheiden zurückgeholt hast. Hier liegen die Dinge anders. Denke an die Falten meines Umhangs auf Kapitän Bombos Tisch, als ich dir seinerzeit das Wesen der Welt zu erklären versuchte. Wäre es möglich gewesen, nur eine einzige Falte zu glätten, ohne die anderen ebenfalls zu verändern?«
Ergil konnte sich noch sehr gut an die Lektion in der Kapitänskajüte der Meerschaumkönigin erinnern. Er verstand, was seine Meisterin ihm damit sagen wollte, und schüttelte den Kopf. »Nein. Alles hängt zusammen.«
Sie nickte. »Je weiter ein Ereignis in der Vergangenheit zurückliegt, desto gefährlicher wird jeder Versuch, darauf Einfluss zu nehmen. Im schlimmsten Fall könnte das ganze Gewebe unserer Welt zerreißen. Was geschehen ist, ist geschehen, mein Lieber. Es lässt sich nicht mehr ändern. Umso wichtiger ist es, unsere Zukunft zu gestalten.«
Eine Zeit lang vermochte niemand etwas zu sagen. Schließlich überwand sich Ergil, die nahe liegenden Fragen anzusprechen.
»Schekira hat uns berichtet, was in der Kitoraklamm vorgefallen ist und wie du die Waggs unter einem Geröllberg begraben hast, Inimai.« Er deutete ins Tal hinab. »Aber wie kommt es, dass immer noch eine Staubwolke über der Schlucht hängt?«
Múria gab die Hand des Sirilos frei, die ihr in den letzten Momenten Kraft eingeflößt hatte, und sie blickte in die bezeigte Richtung. Man konnte ihr ansehen, wie viel Überwindung sie die Antwort kostete. »Die Ungeraden mögen feige und erbärmliche Krieger sein, aber wenn sie sich auf irgendetwas verstehen, dann aufs Graben.«
»Du meinst, sie tragen den Schutthaufen ab, der die Klamm verschließt?«
»Davon kannst du ausgehen«, brummte Dormund. Offenbar hatten die Wartenden das Thema schon hinlänglich erörtert.
»Wie lange werden sie brauchen, um durchzustoßen?«, fragte Ergil.
»Lässt sich schwer schätzen. Der Staubwolke nach zu urteilen, herrscht bei dem Schutthaufen, der das Tal verschließt, ein ziemliches Gewusel. Wenn wir Glück haben, schaffen sie’s erst morgen.«
Ergil stöhnte leise. »Können sie sich nicht einfach wieder in ihre Löcher verkriechen, jetzt, wo ihr dunkler Herr vertrieben worden ist?«
Popi räusperte sich. »Könntest du nicht…?« Er wedelte mit der Hand in der Luft herum. »Du weißt schon.«
»Uns alle auf die andere Seite der Klamm versetzen? Im Grunde genommen schon. Aber ich fürchte, das ganze Gebiet rund um den Kitora ist ein Hexenkessel. Solange die Klamm noch verschlossen ist, sind wir hier am sichersten. Wenn wir erst durchs Gebirge reiten, werden die Waggs uns Tag und Nacht verfolgen.«
»Du hast eines übersehen, mein Lieber«, meldete sich überraschend wieder Múria zu Wort.
Alle sahen sie fragend an.
Sie deutete in Richtung des Gipfels. »Seit gestern steigt Rauch aus dem Vulkan und er grollt wie ein großer blubbernder Kessel. Ich fürchte, es dauert nicht mehr lang und der Kitora spuckt Feuer und Asche. Wenn wir dann noch hier sind, werden wir bei lebendigem Leibe geröstet und was danach noch von uns übrig ist, wird unter Lava und Asche begraben.«
Die zweite Nacht auf dem Berg war für Ergil und seine Gefährten ein ständiges Bangen. Würden zuerst die Waggs aus der Klamm oder die
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