Mirad 02 - Der König im König
den Tiefen des Meeres geborgen und bald würde Schmerz neu geschmiedet werden. Danach brauchte er es nur noch dem Herrn in den Eisigen Höhen zu überbringen, um das Zeitalter der Schmach zu beenden.
Es war ein erhebendes Gefühl, sich die stärksten Kreaturen Mirads gefügig zu machen. Zelez zu bändigen hatte Kaguans Selbstvertrauen gestärkt – nur wenigen war es überhaupt je gelungen, ein Drachenross zu zähmen.
Die Kometenschlange hatte seine Fähigkeiten schon auf eine größere Probe gestellt. Die sechsschwänzigen Meeresungetüme galten als ausnehmend wild und mindestens so klug wie ein durchschnittlich begabter Wagg. Doch mit dem Lied der Macht, das ihn der Herr in den Eisigen Höhen gelehrt hatte, konnte er sogar den Willen der alten Kingha brechen.
Sie hatte das schwarze Schwert am Tag von Wikanders Niederlage in ihrer Höhle versteckt. Kometenschlangen waren die Elstern der Meere, um einiges größer zwar, aber ebenso wie die diebischen Vögel leidenschaftliche Sammler von glitzerndem Zeug aller Art. Sie zur Herausgabe von Schmerz zu bewegen war nicht ganz einfach gewesen. Doch das Schwert hatte seinem Namen alle Ehre gemacht. Als es erst in Kinghas Kiefer steckte – eine Folge der benebelnden Wirkung von Kaguans Gesang –, war sie sogar froh gewesen, es wieder loszuwerden.
Und nun gab es eine wunderbare Freundschaft zwischen einer Kometenschlange und einem Zoforoth.
Kaguan bildete an der windabgewandten Seite seines Kopfes eine Öffnung und lachte rau. »Der Rest wird ein Kinderspiel sein«, sagte er, wobei er die Stimme des jungen Königs nachahmte. Er kannte die Söhne der zwei Völker besser, als diese es sich in ihren schlimmsten Alpträumen auszumalen vermochten. Der Herr in den Eisigen Höhen wusste über so manches Bescheid und er hatte seinem letzten Zoforoth vieles Verborgene gezeigt. Sogar den in den Falten von Zeit und Raum versteckten Späher. Die Könige hatten zwar die Flucht aus dem Haus der Verwahrung und die Bergung des Schwertes mit angesehen, aber weder das eine noch das andere verhindern können.
Kaguan stieß erneut ein krächzendes Lachen aus. Hiernach schloss sich wieder die Öffnung in seinem Kopf.
Sein Vorsprung war jetzt schon beträchtlich und das Herzland beruhigend weit. Die Söhne der zwei Völker konnten den großen Plan nicht rechtzeitig durchschauen, denn er wurde von einem Geheimnis bewahrt, das seit vielen Generationen gehütet wurde. Kaguan, der Letzte der Zoforoth, würde bald nicht mehr einzuholen sein. Die Reise war lang, aber am Ende würde Schmerz wieder in neuer Pracht und neuer Macht erstrahlen.
Und sein Herr die ihm zugefügte Schmach grausam rächen.
6
DER AUFBRUCH
Sobald Falgon ein Problem witterte, pflegte sich sein bärtiges Gesicht zu verfinstern. Er verabscheute Schwierigkeiten und sah keinen Grund dazu, diese Haltung zu verbergen. Besser als jeder andere konnte Múria die ersten Anzeichen solchen Unmuts erkennen. So auch jetzt, nachdem man sich auf eine Verfolgung des Chamäleonen geeinigt hatte.
Die Gefährten saßen in der Gaststube der Trällernden Meerjungfrau an einem grob gezimmerten Tisch im hintersten Winkel des Raumes. Vor ihnen standen Krüge mit Gewürzwein sowie hölzerne Schalen mit einem Gemüseeintopf, in dem ein paar undefinierbare Fleischstücke schwammen. Popi schaufelte das Essen in sich hinein, als ginge es um sein Leben. Schekira hatte ihre »Abendgarderobe« angelegt, soll heißen, sie steckte im Gefieder eines Käuzchens. Mit den Krallen hielt sie einen der grauen Fleischbrocken fest und zupfte kleine Fasern heraus. Twikus war zu müde und innerlich zu aufgewühlt, um nennenswerten Appetit zu entwickeln. Und Múria hatte ihr Essen noch gar nicht angerührt. Stattdessen musterte sie den zu ihrer Linken sitzenden Verlobten.
Der Waffenmeister schlürfte vernehmlich vor sich hin. Mürrisch und ohne den Kopf nach rechts zu wenden, fragte er: »Was ist, Inimai?«
Sie lächelte. »Nichts, mein Lieber.«
»Und warum schaust du mich so an?«
»Ich versuche deine Gedanken zu lesen.«
Falgon ließ den Löffel auf dem Weg zum Mund verharren und blickte sie erschrocken an.
Múria musste lachen. »Du weißt, dass meine Kunst nicht so weit reicht. Was beschäftigt dich, Falgon?«
Er ließ den Löffel in die Schale zurücksinken. Während er ihn unwirsch betrachtete, murmelte er: »Das gefällt mir nicht.«
Múria legte ihren Arm um seine Schulter und streichelte seine tonnenförmige Brust. »Na, das ist
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