Mirad 02 - Der König im König
kommen, mit dem kräftigen Schwanz nach der heransausenden Waffe. Sie wurde abgelenkt. Ihre Spitze ritzte eine blutige Linie in die Hinterbacke des Tieres. Der Hengst stieß ein brüllendes Wiehern aus – mehr zornig als von Schmerz getragen – und galoppierte unbeirrt talabwärts davon.
Die Reihen der Angreifer hatten sich gelichtet. Am Himmel kreisten nur noch vier Harpyienwesen, die sich verzweifelt gegen den unermüdlich auf sie niederfahrenden Adler wehrten. Twikus wandte sich zu Dormund um.
»Wo ist Kaguan?«
Der Schmied deutete den Steilhang hinauf. »Ich glaube, da oben.«
»Du glaubst?«
»Sein Körper hat sich plötzlich verfärbt. Er ist regelrecht mit seiner Umgebung verschmolzen. Nur sein Rücken blieb unverändert schwarz.«
»Ja, weil er sich Schmerz um den Leib gebunden hat. Das Schwert verdeckt seine Chamäleonenhaut. Könntest du kurz für mich den Himmel im Auge behalten?«
Der Schmied nickte.
Während Dormund nach den Gapas Ausschau hielt, suchte Twikus den Hang ab. Unvermittelt hörte er einen tiefen, vibrierenden Ton. Mit Blicken folgte er dem Geräusch bis zu seinem Ursprung und dann entdeckte er Kaguan. Der Chamäleone stand oben auf einer Pyramide. Sein Schuppenkörper glitzerte wie zum Hohn für die Verfolger in einem feurigen Rot. Er gab einen auf- und abschwellenden Laut von sich, der Twikus bekannt vorkam. Bald gesellte sich eine zweite Stimme hinzu, die mit der ersten eine unharmonische Partnerschaft einging.
»Kaguan singt«, flüsterte Twikus. Sein Gedächtnis beschwor die Szene am Schollenmeer herauf, als das Eis knisterte, sich spaltete und ein riesiges Seeungetüm ausspie. Auch damals hatte der Zoforoth in mehreren Stimmen »gesungen«.
»Wozu?«, fragte Dormund verdutzt. »Will er seine Kometenschlange rufen? Hierher?«
»Ich weiß nicht. Die Seeschlange ist ein Geschöpf des Wassers. Vielleicht hat sie ja ein paar Nichten, die im Erdreich dieser Wüste leben.«
Inzwischen waren Falgon, Múria und Popi auf ihren Krodibos herbeigeeilt.
Der Schildknappe folgte dem Blick seines Königs. »Will er uns ein Spottlied singen?«
Twikus hob zu einer Antwort an, aber plötzlich bemerkte er unter seinen Sohlen ein Zittern. Sein Mund schloss sich wieder, er runzelte die Stirn. Einem inneren Impuls folgend ging er in die Hocke und legte die Hand auf den Boden. Sofort zog er sie wieder zurück.
»Puh, ist das heiß!«
Popi grinste. »Nach der Eiseskälte in den letzten Wochen bist du nichts Gutes mehr gewöhnt. Das liegt bloß an der Sonne.«
Aus dem Zittern wurde ein Beben. Staubschlieren zogen sich wie Wellengekräusel über den Boden.
»Das gefällt mir nicht«, brummte Falgon.
Dormund nickte. »Hier geht irgendetwas Merkwürdiges vor.«
»Ja«, sagte Múria. »Und es hängt mit dem Gesang des Zoforoths zusammen. Ich glaube, wir sollten uns schnell in Sicherheit bringen.«
Twikus schnaubte wütend. »Und Kaguan?«
»Den schnappen wir uns später.«
»Aber…«
»Kommt!«, unterbrach ihn Múria und spornte ihr Krodibo zur Eile an. Die anderen Gefährten folgten ihr dichtauf. Zuletzt auch ein junger, maßlos enttäuschter König.
So schnell wie möglich überquerten sie das Geröllfeld. Sie hatten es noch nicht ganz hinter sich, als erneut Dormunds besorgte Stimme erklang.
»Seht mal, da links!«
Aller Blicke wandten sich in die besagte Richtung. Zwischen den zwei Felsbrocken, die Twikus zuvor als Deckung gedient hatten, züngelten Flammen.
»Da drüben brennt der Boden auch«, sagte Popi und zeigte zur anderen Seite hinüber.
»Von wegen, das liegt bloß an der Sonne«, knurrte Twikus.
»Schneller!«, drängte Múria.
Endlich erreichten die Krodibos das Ende des Geröllfeldes, jene Stelle, wo der Kadaver eines zertrampelten Harpyienwesens lag und wo Falgon seinen Speer auf das fliehende Drachenross geschleudert hatte. Die Reiter spornten ihre Tiere zu einem scharfen Galopp an. Hinter ihnen erscholl unvermindert der misstönende Gesang des Zoforoths.
Während sie förmlich nach Westen flogen, loderten immer mehr Flammen von der Talsohle empor. Aber damit nicht genug. Wer mit seinem Krodibo einer Feuerlache zu nahe kam, wurde von dieser angegriffen; wie eine Giftschlange schoss sie mit boshaftem Fauchen waagerecht durch die Luft. Einigen Tieren hatte die garstige Glut bald das Fell an den Hinterläufen versengt.
»Ich spüre etwas Lebendiges«, schrie Twikus über das Getrappel der Hufe hinweg. »Es ähnelt den Ischschsch, aber es steckt in den
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