Mirage: Roman (German Edition)
Einige dieser Leute bezeichnen dich als den Architekten des Anschlags, und auch wenn sie von einem anderen Anschlag sprechen, auch wenn sie verrückt sind, so folgt daraus nicht, dass dein Geheimnis vor Entdeckung sicher ist.
Du darfst nicht zulassen, dass diese Geschichte an die Öffentlichkeit dringt. Du versetzt al-Qaida in Alarmbereitschaft und fängst an, Vernehmungen zu überwachen. Kreuzzügler, die das Falsche sagen, lässt du verschwinden, und mit ihnen sämtliche etwaigen Artefakte, die bei ihnen aufgefunden wurden. Im Zuge dieser Vertuschung wirst du zu einem hervorragenden Kenner der Fata-Morgana-Legende, und je mehr du in Erfahrung bringst, desto vertrauter erscheint sie dir, wie etwas aus einem halb erinnerten Traum. Eine andere Welt. Eine Welt, in der Amerika die einmarschierende Supermacht ist, die die heiligen Stätten des Islams entweiht. Eine Welt, in der Arabien in unbedeutende Fürstentümer zerfällt, in der Männer wie Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi nicht lediglich Kriminelle oder Witzfiguren sind, sondern Staatsoberhäupter. Eine Welt, inder das Leiden gewöhnlicher Araber dementsprechend vervielfacht ist.
Jetzt bist du es, der geschockt ist. Dir wird klar: Wenn das wahr ist, hast du deine Zeit vergeudet, hast du in einer Illusion gekämpft, während die Situation, die du herbeizuführen versuchtest, bereits Wirklichkeit war. Du musst dir lediglich einen Weg überlegen, sie wiederherzustellen.
Und so – spät, aber immerhin – hast du deine neue Mission gefunden. Es ist dieselbe Mission, auf der sich die Kreuzzügler befinden, was eigentlich absurd sein müsste, tatsächlich aber nur zu logisch ist, denn in deinem Hochmut hast du dich den Einflüsterungen desselben geöffnet wie sie. In jedem Fall ist das dein Wunsch: zu einer Welt des Leids zurückzukehren, zu einem Arabien, dessen Menschen dafür reif sein werden, deine Botschaft zu empfangen: das Wort Gottes des Allerbarmers und Barmherzigen in der Übersetzung des Massenmörders Osama bin Muhammad bin Awad bin Laden.«
Mustafa verstummte und trank einen Schluck Tee. Samir starrte ihn beklommen an. Amal hatte den CIA-Bericht in die Hand genommen und blätterte ihn gerade durch.
»Das ist eine interessante Geschichte«, sagte Amal freundlich. »Aber selbst damit«, sie ließ den Bericht wieder auf den Tisch fallen, »wird sie niemand glauben, das weißt du doch.«
»Stimmt«, pflichtete Samir ihr bei. »Wenn du dem Präsidenten so was auftischst, wird er dich für übergeschnappt halten.«
»Och«, sagte Mustafa, »aber den verrückten Teil habe ich doch noch gar nicht erzählt … Hier. Schaut euch dieses Foto an.«
Udai Hussein war auf der Spur eines Zimmermädchens ins Obergeschoss gestiegen. Er machte, mit Unterbrechungen, Jagd auf sie, seitdem sie ihre Stellung im Anwesen in al-Azamiyya angetreten hatte, folgte ihr durch das Haus, wann immer er sie sah, und ließ sie – in der Gewissheit, dass er sie, wann immer er wollte, in die Enge treiben konnte – jedes Mal wieder entwischen. Heute allerdings hatte er die Lust an dem Spielchen verloren und beschlossen, es zu Ende zu führen, deswegen war er sehr ärgerlich, als er in ein Badezimmer platzte, in dem sie sich, wie er fest annahm, vor ihm versteckte, und es leer vorfand.
Er kehrte auf den Korridor zurück und wandte sich zu einer Galerie, die den Kuppelsaal mit der Nebukadnezar-Statue überblickte. Ein Diener war gerade dabei, die Balustrade zu wienern; als er Udais Blick auf sich spürte, entsann er sich einer anderen Pflicht, die ihn in einen entlegenen Teil des Hauses rief, und eilte von dannen.
Udai schlug die entgegengesetzte Richtung ein und steckte den Kopf wahllos in verschiedene Zimmer. Am westlichen Ende des Korridors blieb er vor einer massiven Holztür mit Eisenbeschlägen stehen. Der Raum dahinter war tabu, aber Udai beschloss, trotzdem einen Blick hineinzuwerfen: Sollte das Zimmermädchen dort drinnen sein, würde er eine Ausrede haben, sie zu bestrafen – auch wenn er dafür keine Ausreden brauchte.
Überraschenderweise war die Tür nicht abgeschlossen. Udai stieß sie mit Schwung auf, breitete dann die Arme aus und rief: » Aha! « Niemand versuchte, von innen an ihm vorbeizuflitzen. Er ließ die Arme wieder sinken, blieb direkt jenseits der Schwelle stehen und sah sich um.
Das Zimmer war achteckig, mit einem Durchmesser von zehn Metern. Früher hatte es als Gebetsraum und als Observatorium gedient, und das einzige breite Fenster war nach der
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