Mirage: Roman (German Edition)
immer unberechenbar, und keine noch so reichlich bemessene Vorwarnzeit konnte den Schrecken beim Erscheinen der Staubwolke mindern, die wie nach dem Einsturz einesgewaltigen Turms durch die Straßen der Stadt brodelte. Sie flutete, alles – Menschen, Autos, Straßenlaternen – verschlingend, über die Kreuzung und wälzte sich auf die Heimatschutzbeamten zu.
»Scha-a-a-eiße!«, stieß Abu Naji in einem langen Atemzug hervor. Er sprang aus dem Transporter und knallte die Tür zu. Mustafa sah nach oben. Eine Woge von Staub und Sand schwappte über das Appartementhaus hinweg und wickelte sich um dessen Seiten, wodurch es einen Augenblick lang so aussah, als sackten die obersten Stockwerke herab.
»Komm schon!«, schrie Samir und zog Mustafa am Arm. Sie ließen Idris im Transporter sitzen und rannten zum Hochhaus zurück, schafften es praktisch in letzter Sekunde hinein. Während die Eingangstür zufiel, schoss eine Frau, die mit beiden Händen die Zipfel ihres Kopftuchs festhielt, draußen auf dem Bürgersteig vorbei. Dann rauschte die Staubwolke wie ein schwerer Vorhang herab und hüllte alles in Dunkel.
Die Glühbirnen in der Eingangshalle des Appartementhauses schienen zu flackern, aber es lag nur an ihren Augen, die sich an den plötzlichen Verlust des Tageslichts gewöhnen mussten. Feiner Staub puffte durch die Türritzen und brachte einen Geruch wie von frischer Kreide mit sich. Abu Naji verkniff sich ein Niesen.
In dem Maße wie sich die Front des Sandsturms weiter ostwärts wälzte, lichtete sich die Luft draußen, sodass sie bald wieder etwas erkennen konnten. Die Heimatschutzagenten sahen hinaus in den Dunst, auf eine verwandelte Stadt, und verglichen diesen Anblick mit ihren Erinnerungen an einen anderen, fast ein Jahrzehnt zurückliegenden Tag. Sie bemerkten, dass der Gefangenentransporter hin und her schaukelte, und auch wenn es mit Sicherheit nur am Wind lag, konnte keiner von ihnen den Wunsch in sich unterdrücken, es könnte tatsächlich Idris sein, der vom Sturm in den Wahnsinn getrieben wurde und zumindest einen Bruchteildes Entsetzens durchlebte, zu dem er mutwillig andere verurteilt hatte.
»Also gut«, unterbrach Mustafa endlich die Stille. »Jetzt schnappen wir uns Osama bin Laden.«
»Wie bitte?«, sagte Sayyid. »Du willst nach Riad fahren? Durch das da draußen?«
»Er ist nicht in Riad«, sagte Amal. »Bin Laden ist hier in Bagdad, wegen der Kundgebung. Die dürfte inzwischen zu Ende sein, aber er soll im Rashid Hotel abgestiegen sein. Dort müssten wir ihn erwischen können.«
»Wegen der Kundgebung?«, sagte Abu Naji. »Der Kundgebung am NullPunkt?« Er sah die anderen an. »Heißt das, ihr habt nichts davon gehört?«
Hinter der AHS-Zentrale zog eine Gestalt in einer schwarzen Burka, den Kopf gegen den Wind gesenkt, einen Einkaufswagen den Bürgersteig entlang. Alle anderen Fußgänger weit und breit waren von dem Sturm in die Häuser getrieben worden, trotzdem hatte Siraj ad-Din, mit den hohlen Händen die Augen vor fliegendem Sand schützend, die Hauseingänge und die Dächer auf der anderen Straßenseite sorgfältig abgesucht, bevor er sich ins Freie wagte.
Er ging auf eine Geländelimousine zu, die mit laufendem Motor am Bordstein stand. Drei weitere al-Qaida-Männer folgten ihm mit gezogenen Pistolen dichtauf, und die Nachhut bildeten zwei Männer, die den Gefangenen eskortierten. Die Handschellen des Gefangenen waren durch Fußeisen ergänzt worden, sodass er die Stufen vor dem Hinterausgang des Gebäudes hinuntergetragen werden musste.
Die Beifahrertür der Geländelimousine war verriegelt. Siraj ad-Din riss ungeduldig am Türgriff und näherte sein Gesicht dem Fenster. Er hatte gerade genug Zeit, die Mündung der Schrotflinte auf der anderen Seite der Scheibe zu erkennen, bevor der Baath-Killer auf dem Fahrersitz abdrückte. Zwei weitere Rep-Gardisten im Fond der Geländelimousine eröffneten das Feuer durch die getönten Seitenfenster und töteten die al-Qaida-Männer mit den Pistolen. Das Duo, das den Gefangenen festhielt, trennte sich und versuchte, sich in Deckung zu bringen, aber die Gestalt in der Burka hatte ein Gewehr aus dem Einkaufswagen gezogen und zielte bereits; Sekunden später waren diese zwei letzten al-Qaida-Agenten ebenfalls tot.
Die Rep-Gardisten sprangen aus der Geländelimousine und stürzten sich auf den Gefangenen, der während der Schießerei regungslos dagestanden hatte. Qusai Hussein streifte die Burka ab und warf sie und das Gewehr in den
Weitere Kostenlose Bücher