Mirage: Roman (German Edition)

sagte Mustafa. Costello bemühte sich, das nicht zu tun, aber ehe er die Augen abwenden konnte, blieb sein Blick an einem der Bilder hängen, und er sah hin; und dann änderte sich sein Gesichtsausdruck, da er erkannte, dass die Personen auf den Fotos zwar unbestreitbar Mordopfer waren, es sich aber beikeiner von ihnen um seine Verlobte handelte. Es waren Araber, Iraker: zwei Männer, tot, auf dem Vordersitz eines von Kugeln durchsiebten Wagens; ein weiterer Mann, die Hände hinter dem Rücken an einen Pfahl gefesselt und in den Kopf geschossen; eine Frau, in ihrem Schlafzimmer stranguliert; und am traurigsten von allen, drei kleine Kinder, die wie Puppen zwischen den Trümmern eines zerbombten Geschäftes herumlagen.
    »Ja, schauen Sie nur gut hin«, wiederholte Mustafa. »Genau darauf haben Sie sich eingelassen, als Sie sich den Hoffmanns angeschlossen haben.« Das war strenggenommen nicht wahr. Mustafa hatte diese Fotos aus der Akte zu einem noch offenen Fall genommen, die die Halal-Behörde an den AHS weitergeleitet hatte. Dennoch verfolgten diese Morde denselben Zweck wie diejenigen, die die Hoffmanns geplant hatten: Schrecken zu verbreiten. Moralisch bestand da kein Unterschied.
    »Ich möchte Ihnen etwas über mich selbst verraten, Dr. Costello«, sagte Mustafa. »Ich bin kein Pazifist. Ich bin keineswegs über Rachegedanken erhaben. Wenn man die Männer, die die Flugzeuge am 9. November steuerten, lebendig vor mich brächte, würde ich keine Gnade mit ihnen haben. Dasselbe gilt für die Männer, die sie dazu angestiftet haben. Aber das «, er deutete auf die Fotos, »dieses Abschlachten von Unschuldigen, das übersteigt meine Vorstellungskraft. Nicht einmal in meinen schwärzesten Träumen fühle ich mich zu solcher Barbarei versucht. Ich sehe diese Frau an, hier, und ich kann nur an Fadwa in den letzten Augenblicken ihres Lebens denken. So Gott will, musste sie nicht lange leiden, aber wenn ich mir auch nur einen einzigen Augenblick ihres Schmerzes und ihrer Angst vorstelle und mir dann vorstellen soll, ganz bewusst irgendeiner anderen unschuldigen Frau die gleichen Schmerzen und die gleiche Angst zu bereiten … Nein. Nein, das übersteigt mein Fassungsvermögen. Und diese Kinder … kleineKinder, die unmöglich, völlig unmöglich etwas getan haben konnten, um dieses Schicksal zu verdienen … Ich begreife es nicht. Können Sie es mir erklären, Dr. Costello?
    Ist das christlich? Ich bin kein Experte, wenn es um Ihr Neues Testament geht, aber Teile davon habe ich durchaus gelesen. Der Prophet Jesus, Friede sei mit ihm, sagte, dass es zwei große Gebote gebe: Gott zu lieben aus ganzem Herzen und ganzer Seele und seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst. Wahre Worte, Dr. Costello, Worte, die jeder Muslim unterschreiben müsste, denn wir glauben dasselbe. Doch selbst ein so unzulänglicher Muslim, wie ich einer bin, hätte es schwer, nachzuvollziehen, wie Sie von diesen Worten zu solchen Taten gelangen. Können Sie es mir erklären? Denken Sie an Ihre Jessica in ihren letzten Augenblicken. Wenn sie jetzt hier wäre und wüsste, was für Taten Sie geplant hatten, was würde sie wohl sagen?«
    Costellos Lippen bewegten sich zu einem leisen Murmeln.
    »Was war das, Dr. Costello? Ich habe Sie nicht ganz verstanden.«
    »Ich sagte, es tut mir leid.«
    »Das würde ich Ihnen gern glauben«, sagte Mustafa. »Es würde mir dabei helfen, wenn Sie mir von Ihren Beziehungen zu den Hoffmanns erzählten: Was Sie planten. Wer sonst an der Sache beteiligt war. Was immer Sie mir erzählen können, was den Tod weiterer Unschuldiger verhindern könnte.«
    Doch Costello schüttelte den Kopf. »Es spielt keine Rolle.«
    »Ganz im Gegenteil, Dr. Costello, es spielt eine gewaltige Rolle. Mit Sicherheit für diejenigen, die sterben könnten. Für deren Angehörige. Für mich. Und insofern Sie ein Mensch und ein Kind Gottes sind, sollte es auch für Sie eine Rolle spielen. Ich will Ihnen nichts vormachen: Selbst wenn Sie sich dazu entschließen sollten, rückhaltlos zu kooperieren, steht Ihnen eine lange Gefängnisstrafe bevor. Aus Sicherheitsgründen wird man Sie in Einzelhaft halten, und das bedeutet Jahre und Jahre in einem kleinen Raum, mit keiner anderen Gesellschaft als Ihrem Gewissen. Sie glauben das momentan vielleicht nicht, aber mit der Zeit, mit ausreichend langer Zeit, können Schuldgefühle und Reue einen bei lebendigem Leib auffressen. Und sollte das nicht geschehen, dann müssen Sie sich immer noch am Tag des