Mirage: Roman (German Edition)
Bibeln. Wehe dem Muslim, der einem zornigen Kreuzzügler die falsche Übersetzung oder Auswahl von Apokryphen gab!
Da er hier eine Gelegenheit witterte, hatte Mustafa einen Bibliothekswagen mit so vielen verschiedenen Bibeln gefüllt, wie er finden konnte: der lateinischen Vulgata, verschiedenen Ausgaben der King-James-Bibel, der Luther-Bibel, der Revised-Standard-Version, der Ignatius-Bibel und einigen andere mehr. Mustafas Ziel war dabei nicht so sehr,für jeden etwas Passendes zu haben, als vielmehr, indem er ein Bewusstsein für christliche Empfindlichkeiten bewies, Respekt zu zeigen und dadurch eine Atmosphäre des Vertrauens und Wohlwollens zu schaffen. Es war eine verblüffend effektive Taktik, die selbst bei Häftlingen wirkte, die ansonsten jede Gastlichkeit ablehnten.
Die Tür des Beobachtungsraums öffnete sich, und Amal und Samir kamen herein. »Und?«, sagte Mustafa.
»Die Polizei von Gaza-Stadt hat sich gemeldet«, antwortete ihm Amal. »Es war ein Ladenüberfall. Sie haben den Bericht und ein Tatortfoto rübergefaxt.«
Mustafa betrachtete das Foto, das Amal ihm reichte. Es zeigte eine Frau, die, den Kopf zur Seite geneigt, mit dem Rücken gegen die Tür eines Getränkekühlschranks saß. Ihr Gesichtsausdruck mit den geschlossenen Augen war friedlich, als wäre sie gerade eingeschlafen, aber vom Hals abwärts war sie eine einzige blutige Sauerei.
»Also wie lautet der Plan?«, fragte Samir. »Willst du dem Typ auf die verständnisvolle Tour kommen?«
»So was in der Art«, sagte Mustafa.
»Hallo, Dr. Costello. Mein Name ist Mustafa al-Bagdadi und ich möchte mich mit Ihnen über Ihre jüngsten Aktivitäten unterhalten.«
Costello saß mit aufgestützten Ellbogen am Tisch des Verhörraums, die Augen auf die kurze Kette fixiert, die seine Handschellen miteinander verband. »Ich habe Ihnen nichts zu sagen.«
»Dann hören Sie vielleicht einfach zu«, sagte Mustafa. »Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich Arabisch sprechen. Soweit ich weiß, beherrschen Sie die Sprache fließend, und während ich durchaus Englisch kann, sind diejenigen, die uns gerade beobachten«, er deutete auf die Kameras, den Einwegspiegel, »nicht so vom Glück begünstigt.«
Costello antwortete nicht explizit darauf, lehnte sich aber auf seinem Stuhl zurück und seufzte. Mustafa hielt eine Mappe in die Höhe, in der sich Costellos IKA-Akte befand; er hatte sie mit ein paar Hundert wahllos zusammengeklaubten Seiten dienstlicher Korrespondenz aufgefüllt, sodass sie ein gewichtig dumpfes Geräusch erzeugte, als er sie auf den Tisch fallen ließ. »Das hier ist alles, was wir über Sie wissen.« Er setzte sich dem Arzt gegenüber hin und begann, ohne die Mappe zu öffnen, den Blick geradeaus über den Tisch hinweg gerichtet, die Fakten aus dem Gedächtnis vorzutragen.
»Ihr vollständiger Name lautet Gabriel Brennan Costello. Sie sind 1973 in Boston geboren. Nach dem Tod Ihrer Eltern im Jahr 1988 zogen Sie nach London zu Ihrer Großmutter mütterlicherseits. 1991 erhielten Sie ein Visum, um ein Studium an der Universität Bagdad zu beginnen. Von 1995 bis 1998 studierten Sie Medizin an der Ain-Shams-Universität in Kairo. Ihre fachärztliche Ausbildung zum Chirurgen absolvierten Sie am Medizinischen Zentrum Jaffa, in Palästina. Vor vier Jahren sind Sie nach Bagdad zurückgekehrt, um am Karkh-Krankenhaus eine Stelle in der Unfallchirurgie anzutreten. Seitdem haben Sie sich mehrmals beurlauben lassen, um an Auslandseinsätzen der Médicins Sans Frontières teilzunehmen.
Ich muss sagen, das klingt nicht gerade wie der Lebenslauf eines Terroristen. Natürlich sind Sie Amerikaner und Christ, und diese Ärzte-ohne-Grenzen-Einsätze hatten durchweg den Zweck, anderen Christen, die beim deutschen Volksaufstand verwundet worden waren, zu helfen. In den Augen mancher meiner Kollegen würde schon eine einzige dieser Tatsachen ausreichen, um Sie als Bedrohung einzustufen, ohne dass eine weitere Erklärung nötig wäre. Doch ich versuche, etwas unvoreingenommener zu sein, und als Bürger dieser Stadt bin ich von Natur aus neugierig. Wissen Sie, unmittelbar nach dem 9. November fragtesich ganz Arabien: Warum? Warum hassen sie uns? Der Rest des Landes hat seitdem versucht, wieder zur Tagesordnung überzugehen, aber hier in Bagdad, wo wir noch immer mit den Nachwirkungen dieses Tages leben müssen, fällt es uns weit schwerer, die Vergangenheit hinter uns zu lassen. Wir möchten nach wie vor wissen: Warum hassen Sie uns, Dr.
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