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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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Mustafa kam damit eine ganze Weile über die Runden.
    Dann, im fünften Jahr ihrer Ehe, am Ende einer weiteren erfolglosen Serie von Fruchtbarkeitsbehandlungen, verfiel Fadwa in eine Depression, die Monate andauerte. Mustafa zog los und nahm Saddams Vize im Gouvernement al-Anbar fest, nachdem er ihn mit einer Lkw-Ladung Whisky erwischt hatte, und überzeugte ihn, als Gegenleistung für eine milde Strafe sein ganzes Verteilernetz zu verraten. Das war ein beträchtlicher Erfolg für die Halal-Truppe – und ein großer Pluspunkt für seine berufliche Laufbahn –, aber er hellte Fadwas Stimmung nicht im Mindesten auf. Am Ende konnte Mustafa, anders als sonst, seine Gefühle nicht mehr beherrschen und schrie sie an: Warum konnte sie sich nicht für ihn freuen?
    In dieser Nacht lag er wach und dachte an die Hochzeit zurück, auf der er und Fadwa sich als Erwachsene wiedergefunden hatten, und fragte sich, wie sein Leben jetzt wohl aussähe, wenn jener Tag nie stattgefunden hätte. Was, wenn Fadwas Einladungsschreiben in der Post verloren gegangen wäre? Was, wenn sein Auto an dem Tag nicht angesprungen – oder er einfach nicht hingegangen wäre? Was, wenn, was, wenn. Natürlich war es ohne Weiteres möglich, dass es nichts geändert hätte. Gut möglich, dass es sein Schicksal gewesen war, Fadwa zu heiraten, so oder so. Aber es war auch möglich, sich eine Welt vorzustellen, in der es nicht so war. Was, wenn, was, wenn …
    Er fing an, andere Frauen anzuschauen, nicht als Sexualobjekte (na gut, nicht nur als Sexualobjekte), sondern als Abgesandte dieser anderen Welt. Er bemühte sich, dabei nicht völlig eigensüchtig zu sein: Wenn er einen anderen Weg einschlug, dann stand das Fadwa ebenfalls zu, also dachte er ihr immer einen Ehemann zu, der liebevoll und geduldig und lieb war und der, dies vor allem, die Weisheit besaß, die Mustafa fehlte: das Wissen darum, wie sie glücklich zu machen sei. Nachdem dies abgehakt war, konzentrierten sich seine detailliertesten Fantasien auf seine Seite der Gleichung.
    Eine Frau, die am Postschalter anstand; die Sekretärinnen bei der Halal; eine Mutter, die sich im Supermarkt mit drei gesunden Kindern herumschlug … Was wenn, waswenn. Oder eine Frau, die er an der Bushaltestelle beobachtete, mindestens sechzig und sichtlich nicht mal in ihrer Jugend hübsch gewesen, aber ebenso offensichtlich zufrieden mit ihrem Leben. Wie wäre es wohl, mit einer solchen Zufriedenheit verheiratet zu sein, sie jeden Morgen und jeden Abend zu sehen, das Bett mit ihr zu teilen? Was, wenn, was, wenn … Und die Fantasie nahm immer mehr Gestalt an: Ich wünschte, ich wünschte.
    Solches Wünschen war harmlos, sagte er sich, solange er nicht vergaß, dass es nicht die Realität war. Er hatte die Frau, die er hatte, und keine andere. Er würde Fadwa nicht verlassen; er hatte diesen Eid schon tausendmal geschworen, und es war ihm ernst damit, auch wenn sie ihm nicht glaubte. Und er würde auch nicht wie Samir werden, der wegen seiner freimütig eingestandenen Unfähigkeit, mit seinen Frauengeschichten aufzuhören, zwei Verlobungen hatte platzen lassen.
    Aber vielleicht gelang es ihm nicht so gut, seine Fantasien für sich zu behalten. Oder vielleicht wollte Gott seine Entschlossenheit auf die Probe stellen. Eines Morgens fing Fadwa während des Frühstücks an, ihm von der Predigt zu erzählen, die sie am vergangenen Abend in der Kirche gehört und die von Sara, der Frau des Propheten Ibrahim, und der Sklavin Hagar gehandelt hatte …
    Mustafa tat nur so, als hörte er ihr zu, daher waren es nicht Fadwas Worte, sondern das nachfolgende Schweigen, das ihn aufschauen ließ. Fadwa stand, von ihm abgewandt, an der Spüle, ihr Körper so starr, als erwartete sie einen Schlag.
    »Was hast du gerade gesagt?«, fragte Mustafa.
    »Ich sagte, vielleicht solltest du dir eine zweite Frau nehmen. Dann könntest du Kinder haben, und ich …«
    »Mein Gott«, sagte Mustafa, dessen Bestürzung augenblicklich in Wut umschlug. »Mein Gott, Fadwa, was für einen Irrsinn pumpen diese Christen dir eigentlich in den Schädel?«
    Er stürmte aus dem Haus. Fadwa folgte ihm, seinen Namen rufend, aber er war schon durch die Haustür und im Auto, ehe sie ihn einholen konnte.
    Doch das Wissen darum, auf wen er in Wirklichkeit wütend war, konnte er nicht hinter sich lassen. Nicht etwa auf Fadwa, weil sie diesen Vorschlag gemacht hatte. Nein, auf sich selbst, weil er sich durch ihn versucht fühlte.
    Der Tote hieß Ghazi al-Tikriti. Er

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