Mirage: Roman (German Edition)
Halal-Beamten manchmal als »Polizisten Gottes«, weil sie die Einhaltung der Reinheitsgebote überwachten. Mustafa stellte sich lieber vor, seine Aufgabe sei es, die Schwachen vor der Ausbeutung durch die Bösen zu beschützen, aber wie man die Sache auch betrachtete, es wurde ein glanzvolles Jahr für die Gottestruppe. Sie beschlagnahmten jede Menge verbotener Substanzen und brachten jede Menge übler Typen hinter Schloss und Riegel, und selbst der alte Gauner Saddam schien, zumindest eine Zeitlang, zum Ergreifen nah zu sein.
Die Probleme begannen im Jahr darauf, als Fadwas Angehörige sie anlässlich des Opferfestes in Bagdad besuchten.Fadwas Mutter ließ immer wieder Bemerkungen darüber fallen, dass Fadwa noch immer nicht schwanger war. Worauf warteten die jungen Leute eigentlich? Stimmte irgendetwas nicht? Mustafa hielt das für Äußerungen, wie sie von Schwiegermüttern traditionell erwartet wurden, und dachte sich nichts weiter dabei. Fadwa aber nahm die Kritik sehr mit. Sobald ihre Eltern wieder abgereist waren, brach sie zusammen und gestand Mustafa, dass sie ihm ein Familiengeheimnis verheimlicht hatte. Eine ihrer Großtanten mütterlicherseits war von ihrem Mann verstoßen worden, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie unfähig war, Kinder zu bekommen. Nicht nur warf er sie buchstäblich aus dem Haus, sondern er schrieb ihre Unfruchtbarkeit einem unmoralischen Lebenswandel zu – eine niederträchtige Anschuldigung, die sie bestritt. Dennoch fühlte sie sich so beschämt, dass sie schließlich Selbstmord beging.
Mustafa hörte sich diese Geschichte zwar mit feierlicher Miene an, nahm sie aber nicht ernst. Die Familienehre war wichtig, und Erinnerungen waren langlebig, aber die Ereignisse, von denen Fadwa sprach, hatten sich vor ihrer beider Geburt zugetragen. Aber wichtiger noch, Mustafa hatte angefangen, sein Glück für selbstverständlich zu nehmen, die Freude des vergangenen Jahres als etwas Naturgegebenes anzusehen statt als eine Gnade, die möglicherweise nicht von Dauer sein würde. Diese Arroganz machte ihn blind für die Tiefe von Fadwas Angst.
»Der Mann deiner Großtante scheint ja ein Monstrum gewesen zu sein«, sagte er, als sie zu Ende erzählt hatte. »Und was geschehen ist, war eine Tragödie. Aber das hat nichts mit uns beiden zu tun.«
Fadwa sah ihn misstrauisch an. »Was, wenn ich nicht schwanger werden kann?«
»Sei nicht albern. Das wirst du schon noch. Natürlich wirst du das.«
»Was, wenn ich es nicht kann? «
»Fadwa, jetzt komm schon.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Du weißt doch, dass ich dich niemals rauswerfen würde.«
Sie schloss die Augen und nickte und tat so, als wäre sie beruhigt. Aber seit dem Tag war zwischen ihnen einiges anders. Fadwa begann, häufiger nach Sex zu verlangen – für sich genommen nichts, worüber er sich hätte beklagen können, aber der Akt war von einer Aura der Verzweiflung befleckt, die mit der Zeit immer intensiver wurde. In Fragen des Glaubens wurde Fadwa zu einem echten Drachen und schalt Mustafa bei jedem Anzeichen dafür, dass er seine religiösen Pflichten vernachlässigte.
Sechs Monate später war Fadwa noch immer nicht schwanger, und Mustafa räumte ein, dass möglicherweise wirklich ein Problem vorlag, aber er war sich sicher, dass es nur etwas Vorübergehendes war, irgendeine biologische Hemmschwelle, die sich schon würde beheben lassen. Er forderte Fadwa auf, sich einen Termin beim Arzt geben zu lassen. Sie tat es, aber die Untersuchung wurde immer weiter hinausgeschoben. Nachdem es mehrere Monate lang so gegangen war, rief Mustafa wütend in der Praxis an und erfuhr, dass es nicht der Arzt war, der die Termine immer wieder abgesagt hatte.
Jetzt war es an Mustafa, strenge Töne anzuschlagen. »Du musst aufhören, dich albern aufzuführen, und dich endlich untersuchen lassen, Fadwa«, sagte er. »Egal, was nicht stimmt, wir kriegen es wieder hin.«
Das Verdikt war, als es endlich kam, niederschmetternd. »Primäre Ovarialinsuffizienz.« Als er die Worte des Arztes wiederholte, fühlte sich Mustafa träge und dumm. »Primäre Ovarialinsuffizienz, das ist, was ist das, verfrühte Menopause?«
Nein, das war es nicht; es war viel schlimmer. Eine Frau in der Postmenopause weiß, dass sie keine Kinder mehr bekommen kann. Eine Frau mit primärer Ovarialinsuffizienzweiß lediglich, dass sie das wahrscheinlich nicht kann. Zwischen fünf und zehn Prozent der Frauen, die unter dieser Störung litten, erklärte der
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