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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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Arzt, wurden trotzdem schwanger; doch da die eigentlichen Ursachen noch immer wenig bekannt seien, gebe es auch keine Möglichkeit vorherzusagen, wer zu dieser glücklichen Minderheit gehörte. Und er könne Fadwa zwar etwas gegen einige der Begleitsymptome verschreiben, doch die eigentliche Störung sei nicht therapierbar.
    »Und Sie sind sicher, dass sie das hat?«, fragte Mustafa mehrmals – nicht so sehr, weil er die Diagnose angezweifelt hätte, sondern weil er Zeit brauchte, um sich an sie zu gewöhnen, an diese neue Wirklichkeit, mit der er ganz und gar nicht gerechnet hatte. Währenddessen saß Fadwa neben ihm und beobachtete ihn, nahm jedes Wort, jedes Muskelzucken in seinem Gesicht in sich auf. Wenn er noch einmal in diese Situation gekommen wäre, hätte er darauf bestanden, den Arzt zuerst allein zu sprechen – was vielleicht nicht so recht zu einem aufgeklärten Ehemann passte, ihm aber gestattet hätte, sich zunächst einmal mit seinen eigenen Empfindungen auseinanderzusetzen. So aber musste Fadwa die zweifache Tortur erdulden, selbst die schlechte Nachricht zu hören und gleichzeitig Mustafas Reaktion darauf zu erleben – und in diese Reaktion alle ihre schlimmsten Ängste zu projizieren. Als Mustafa sich endlich so weit gefasst hatte, dass er versuchen konnte, sie zu trösten, war es schon zu spät.
    An dem Abend rief Fadwa weinend ihre Mutter an. Binnen vierundzwanzig Stunden wusste die ganze Familie Bescheid. Fadwas Vater war der Erste, der einen Ratschlag gab: Natürlich dürften sie sich nicht auf einen einzigen Arzt verlassen. Sie müssten – wenigstens! – eine zweite Meinung einholen, und er wusste auch, wo: in einem Krankenhaus mit einer erstklassigen Abteilung für Familienplanung, das erst kürzlich in al-Azamiyya eröffnet worden war.
    Mustafa wusste, von welchem Krankenhaus er sprach. Es war mit Spenden der Baath-Gewerkschaft und der Saddam-Hussein-Stiftung finanziert worden und stand bereits wegen des Verdachts auf wiederholte Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz unter halal-dienstlicher Beobachtung. Doch Fadwas Vater, inzwischen ein ganztags beschäftigter Gewerkschaftsfunktionär, betrachtete Saddam nicht mehr als einen Schurken, und als er sich anbot, einen Termin für seine Tochter zu organisieren, konnte Mustafa nicht ablehnen, ohne ihn zu beleidigen.
    Der Fruchtbarkeitsspezialist des Baath-Krankenhauses bestätigte zwar die erste Diagnose, milderte sie aber durch ein Quäntchen Optimismus ab. Es gebe eine Reihe experimenteller Therapien, sagte er, die Fadwas Chancen, schwanger zu werden, erhöhen könnten.
    Mustafa witterte verständlicherweise sofort einen Schwindel. »Wenn es eine experimentelle Behandlung ist, dann kommt der Blaue Halbmond dafür vermutlich nicht auf. Übernimmt die Saddam-Stiftung die Rechnung?«
    »Ah, nein, die Kosten werden Sie leider selbst tragen müssen«, erwiderte der Arzt. »Und ich will Ihnen nichts vormachen, solche Therapien sind nicht billig … Aber andererseits, wie ließe sich Kindersegen mit Gold aufwiegen?«
    » Sie scheinen das ja ganz gut zu können«, sagte Mustafa. Dann spürte er Fadwas Hand an seinem Handgelenk und wusste, dass er überstimmt worden war.
    Der Arzt wusste es ebenfalls. »Ich rufe eben jemanden, mit dem Sie Ihre finanzielle Situation besprechen können.«
    Während sie abwarteten, ob das Krankenhaus im Austausch für ihre Ersparnisse mehr als nur Hoffnung liefern würde, erhielten Mustafa und Fadwa von Verwandten und Freunden weitere therapeutische Tipps: Volksheilmittel, Amulette, empfohlene und zu meidende Nahrungsmittel. Mustafas Onkel Tamir erklärte mit der Autorität, die ihm die Zeugung von acht Kindern verliehen hatte, die Schwängerung einer Frau sei in allererster Linie eine Frage der korrekten Position beim Geschlechtsakt.
    Und es gab auch religiöse Therapien. Zusätzlich zu ihren regelmäßigen Moscheebesuchen begann Fadwa, einmal die Woche zu einer armenischen Kirche zu pilgern, die Umm Isa geweiht war, der Mutter des Propheten Jesus. Manche glaubten, Maria – die von den Muslimen ebenso hoch geachtet wird wie von den Christen – könne für die Gläubigen eintreten; wobei Schwangerschaftsprobleme nachvollziehbarerweise eine ihrer Spezialitäten waren. Einige von Mustafas sunnitischen Cousinen murrten, dies sei Götzenverehrung, doch Mustafas größere Sorge war, dass sich die Sache, wie alles andere, was sie versucht hatten, als wirkungslos erweisen würde.
    »Fadwa«, sagte er eines Abends,

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