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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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ausschließlich für Studentinnen gedacht, und Umm Banat hatte Mustafa und Samir wie potenzielle Tugendschänder angesehen; ihre Halal-Marken hatten mit Müh und Not ausgereicht, ihnen Zutritt zu verschaffen. »Wenn Sie diese Frau dazu gebracht haben, Ihretwegen die Vorschriften zu übertreten, müssen Sie eine echte Verführerin sein.«
    »Och, ich kann eine sein«, sagte Nur. »Wenn ich will.«
    Sie war groß. Mit Absätzen wäre sie so groß wie Mustafa gewesen, und selbst in den Seidenpantöffelchen, die sie im Augenblick anhatte, brauchte sie den Kopf nur geringfügig zu heben, um ihm in die Augen zu sehen. Und das tat sie auch, offen und entspannt, kein bisschen eingeschüchtert durch die Anwesenheit zweier Fremder, und zu so später Stunde, in ihrer Wohnung – Polizisten, die noch gar nicht gesagt hatten, was sie eigentlich von ihr wollten.
    Eine Schönheit war sie nicht. Ihr Gesicht, eine Mischung aus (wie er später erfahren würde) ägyptischen, berberischen und spanischen Zügen, war irgendwie leicht daneben, aber auf eine interessante Weise leicht daneben. Während er ihren Blick erwiderte, hatte er Mühe, sich nicht auf abseitige Gedanken bringen zu lassen: von ihrem Aussehen, ihrer ganzen Art und von der Vorstellung, wie es wohl wäre, eine Frau zu umarmen, die fast so groß wie er selbst war. Fadwa war klein.
    »Also«, fragte er als Nächstes, »wo arbeiten Sie?«
    »Bei al-Jazira«, sagte sie, wieder lächelnd – entweder über seine sichtliche Bemühung, sachlich zu bleiben, oder schlicht deswegen, weil sie gern lächelte. »Ich recherchiere für ›Mesopotamien diese Woche‹. Und ab und an mache ich freiberuflich was für FOX, wenn die einen Filmstab ins Hinterland schicken und eine Führerin oder eine Dolmetscherin brauchen.«
    »Jazira und FOX«, sagte Mustafa. »Ich wusste nicht, dass es möglich ist, für beide gleichzeitig zu arbeiten.«
    »Ach, das ist so, wie mit zwei Liebhabern zu jonglieren«, erwiderte Nur. »Man muss nur aufpassen, sie nicht im selben Zimmer zusammen zu lassen.«
    »Sie haben Erfahrung damit, mit Liebhabern zu jonglieren, ja?«, sagte Samir – die ersten Worte, die er sprach, seitdem sie da waren. Während Mustafa mit Nur schäkerte, war er langsam durch die Wohnung geschlendert, hattewahllos Gegenstände angefasst, auf der Suche nach belastendem Material oder einem sonstigen Mittel gegen seine Langeweile. Jetzt in der Küche – weniger ein eigenständiges Zimmer als eine Fortsetzung des Wohnbereichs – griff er in das Regal über dem Gasherd und holte zwei Sektgläser heraus.
    »Oh-oh«, sagte Nur. »Jetzt stecke ich in Schwierigkeiten. Sie haben mein Drogenbesteck gefunden.« Ein aktueller Witz: Erst in diesem Jahr hatte ein junger Abgeordneter der Partei Gottes einen Gesetzentwurf eingebracht, nach dem »speziell für den Verzehr von verbotenen Getränken konzipierte« Gefäße verboten werden sollten. Zwar war die Vorlage nie aus dem Ausschuss herausgekommen, aber die Presse hatte Wind davon bekommen, und seitdem war die Sache ein stehender Witz.
    Samir bemühte sich, so zu wirken, als wäre das nichts zum Lachen: »Wenn ich weitersuche, besteht dann die Möglichkeit, dass ich auch eine dazu passende Flasche finde?«
    »Ich glaube, ich ziehe es vor, mich nicht selbst zu belasten, indem ich diese Frage beantworte«, sagte Nur gutmütig. Mit einem Seitenblick auf Mustafa: »Zumindest, solange ich Sie beide nicht besser kenne … Jetzt möchte ich so charmanten Herren gegenüber zwar nicht unhöflich sein, aber weswegen sind Sie eigentlich hier? Doch bestimmt nicht, um meine Speisekammer zu durchsuchen.«
    »Nein, wir sind deswegen hier«, sagte Mustafa und hielt ihr den Zettel hin, den sie in Ghazis Brieftasche gefunden hatten. Nurs Fingerspitzen streiften seine, als sie das Stück Papier nahm.
    »Das ist meine Telefonnummer«, sagte Nur, »und meine Handschrift, aber ich erinnere mich nicht … Oh.«
    »Oh?«
    Sie biss sich auf die Unterlippe. »Es geht um das Auto, stimmt’s?«
    »Das Auto?«, sagte Samir. Er stellte die Sektgläser auf dieArbeitsfläche und drehte sich nach ihr um. »Was für ein Auto?«
    »Na ja«, sagte Nur, zu Mustafa gewandt. »Dieser Mann …«
    »Ghazi al-Tikriti«, sagte Mustafa.
    »… ja, er kam vor ein paar Tagen zu einer Frage-und-Antwort-Sendung zu al-Jazira, und während er darauf wartete, dass sie ihn hereinriefen, hat er mich angebaggert. Während wir so redeten, habe ich erwähnt, dass ich auf der Suche nach einem neuen Auto

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