Mirage: Roman (German Edition)
sich kennenlernten, und unter Tränen der Wut, wenn Jemila sie, was unweigerlich geschah, abservierte.
Iman kam aus Khafji, einem Ölhafen an der Golfküste. Sie studierte Dokumentarfilm. Außerdem war Iman eine »Ninja«: Außerhalb des Wohnheims und des Frauen-Sportzentrums, in dem sie regelmäßig trainierte, trug sie eine schwarze Abaya mit einem Niqab, der nur die Augen freiließ. »Ninja« war, wie »modern«, ein Begriff mit verschiedenen Konnotationen, aber wer immer aus ihrem Kleidungsstil schloss, Iman sei eine behütete Landpomeranze, wurde sehr schnell eines Besseren belehrt.
Als Amal ihren Ehrgeiz gestand, wie ihr Papa zur Polizei zu gehen, war es Iman, die ihr riet, sich beim »Büro« zu bewerben. »Das ABE ist Frauen gegenüber weit offener eingestellt als die meisten städtischen und einzelstaatlichen Polizeibehörden«, sagte sie. »Einfach wird’s trotzdem nicht sein, aber zumindest hast du da eine Chance. Und du kannst Bankräuber jagen.«
»Auf Bankräuber bin ich gar nicht aus«, sagte Amal. Aber die Idee als solche war gut.
Sonntagnachmittags besuchte Iman im Sportzentrum einen Selbstverteidigungskurs. Amal begann, sie zu begleiten. Dann erfuhr sie von einem Schießstand in West-Beirut, in dem ein Anfängerkurs für Frauen angeboten wurde, und aus einer Laune heraus beschloss sie, ihn auszuprobieren. Wie sich bald herausstellte, war sie, was den Umgang mit Schusswaffen anging, ein Naturtalent.
Jemila bekam währenddessen die weibliche Hauptrolle in einer Campus-Produktion von ›Haare ‹ . Sie überredete Amal, sich für eine kleine Rolle in dem Musiktheater zu bewerben, die eines übereifrigen Halal-Beamten. Amal trug einen falschen Schnurr- und Kinnbart und rannte während einer der Gesangsnummern über die Bühne und versuchte erfolglos, Jemila eine Burka über den Kopf zu stülpen.
Ihrer Mutter, die jeden Freitagabend anrief, erzählte Amal nichts von diesen extrakurrikulären Aktivitäten. Das bereitete ihr leichte Schuldgefühle, aber andererseits wusste sie, dass ihre Mutter ihr schließlich auch nicht alles erzählte. Nach dem, was das Fernsehen berichtete, war in Bagdad die Hölle los. Dank der Zeugenaussage Hussein Kamels war Khairallah Talfah in allen Anklagepunkten für schuldig befunden worden, und der Generalstaatsanwalt sprach jetzt offen davon, gegen Saddam Anklage zu erheben.
Bei der Premiere von ›Haare‹ warf ein studentisches Mitglied der Libanesischen PG während des ersten Aktes eine Rauchbombe auf die Bühne, und das Theater musste evakuiert werden. Als Amal mit dem Rest der Truppe draußen herumstand und darauf wartete, dass der Feuerwehrhauptmann Entwarnung gab, bemerkte sie einen gutaussehenden Jungen, der sie vom Rand der Menge aus betrachtete. Er lachte, und im ersten Moment dachte sie, er sei vielleicht ein Freund des Rauchbombenwerfers, aber dann fuhr er sich mit dem Finger über die Oberlippe, und da begriff sie, dass die Ursache seiner Belustigung der falsche Schnurrbart war, den sie noch immer trug. Da lachte auch sie, und er kam herüber und stellte sich vor.
Er hieß Anwar, studierte Verwaltungswissenschaft und war schon in einem höheren Semester. Seine Familie stammte eigentlich aus dem Irak, aber sein Vater war Diplomat, deswegen hatte er den größten Teil seiner Jugend in Riad oder im Ausland, in Persien, verbracht. In Teheran hatte er seine Passion für die Künste entdeckt, nicht nur das Theater und die Musik, sondern auch die Poesie. Tatsächlich hatten er und ein paar seiner Freunde einen informellen Lyrikklub gebildet, der sich jeden Dienstag- und Donnerstagvormittag in einem Café traf. Vielleicht hatte Amal Lust, bei Gelegenheit vorbeizuschauen und sich die Gedichte anzuhören?
Sie nahm seine Einladung an und schleifte Jemila als moralische Unterstützung mit. Sie versuchte, auch Iman zum Mitkommen zu bewegen, aber die lehnte ab mit der Begründung, sie gehe grundsätzlich nicht zu Rendezvous. Als Amal beteuerte, das sei kein Rendezvous, sondern nur ein»geselliges Beisammensein«, sagte Iman: »Ich gehe ganz besonders nicht zu Rendezvous, die nicht als solche deklariert werden.«
Die – größtenteils in Farsi abgefassten – Gedichte waren nicht weltbewegend, oder falls doch, wurden ihnen Anwars geflüsterte arabische Übersetzungen nicht gerecht. Schon bald erklärte sich Jemila für bedient und ging, doch Amal blieb, denn auch wenn die Worte, die Anwar ihr ins Ohr sprach, nicht sonderlich interessant waren, genoss sie das Kitzeln
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