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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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du glaubst, das war ein Scherzanruf?«
    »Na, offensichtlich. Komm schon, Umm Dabir, du hast meine Personalakte gesehen. Wenn ich zweimal geschieden wäre, wüsstest du es.«
    »Na ja, natürlich, aber … Was ist das denn für ein Scherz?«
    »Ein Kleinejungenstreich.« Amal zuckte die Achseln. »Du weißt ja, wie das ist. Ich dachte eigentlich, ich hätte diese Phase der Einstandsschikanen hinter mir, aber offensichtlich ist das nicht so.« Sie hielt den Mitteilungszettel in die Höhe. »Könnte ich dich um einen Gefallen bitten? Dass du niemandem was davon erzählst? Ein Gerücht würde sie nur ermutigen.«
    »Natürlich«, sagte Umm Dabir, jetzt wütend um Amals willen. »Was soll ich machen, wenn dieser ›Abu Salim‹ noch einmal anruft?«
    »Das wird er nicht«, sagte Amal. »Dafür werde ich schon sorgen.«
    Wenn sie je einem die Schuld geben wollte, konnte sie es jederzeit auf Saddam Hussein schieben.
    Das Jahr, in dem Amal ihr Elternhaus verließ und anfing zu studieren, war auch das Jahr, in dem Saddams Onkel, Khairallah Talfah, unter Anklage gestellt wurde. Talfah, der ehemalige Bürgermeister von Bagdad, der unter einer Gewitterwolke von Skandalen von seinem Amt zurückgetreten war, hatte sich eine Zeitlang unsichtbar gemacht, aber die Bundesermittler hatten ihn nicht vergessen. Still und leise hatten sie Material für eine Anklage wegen organisierter Kriminalität gegen ihn zusammengetragen und hatten einen Durchbruch geschafft, als Hussein Kamel, der Saddams Schwiegersohn und Talfahs ehemalige rechte Hand war, eingewilligt hatte, als Kronzeuge aufzutreten.
    Außer Talfah sollten auch der amtierende Bürgermeister, der Polizeipräsident und dessen Vize sowie mehrere hochrangige Baath-Funktionäre vor Gericht gestellt werden. Saddam selbst stand nicht unter Anklage – noch nicht –, aber jetzt, wo Hussein Kamel mit dem Generalstaatsanwalt plauderte, würde es nur eine Frage der Zeit sein.
    Alles Dinge, die Amals Vater, Shamal, in eine schwierige Lage brachten. Shamal war Polizeikommissar und Funktionär der Baath-Gewerkschaft. Das war man unmöglich, ohne auch leicht korrupt zu sein, aber während manche Männer sich bewusst und bereitwillig bestechen ließen, taten andere nur das, was sie tun mussten. Letzteren gehörte Shamal an, und er und eine Reihe gleichgesinnter Freunde hatten schon seit Jahren darüber geredet, sie sollten sich zusammentun und in der Polizeitruppe aufräumen.
    Jetzt war es mit einem Mal mehr als bloßes Gerede. Im Rahmen des Stühlerückens nach den Anklageerhebungen wurde Shamal der Posten eines Polizeihauptkommissars angeboten, womit ein entsprechender Zuwachs an Verantwortung in der Gewerkschaft einherging. Wenn er das Angebot annahm, wäre Schluss mit seiner unentschiedenen Haltung. Er würde sich entweder offen als Reformer erklären und etwaige Konsequenzen in Kauf nehmen müssen oder aber sich eingestehen, dass ihm der Mut dazu fehlte, und bösen Menschen den Treueeid leisten.
    Der damals erst sechzehnjährigen Amal wurde nichts von alledem erzählt, aber am Verhalten ihrer Eltern und ihrer älteren Brüder merkte sie, dass etwas Ernstes im Gange war. Eines Nachts weckte ihre Mutter sie aus tiefem Schlaf und forderte sie auf, sich anzuziehen – sie hätten Gäste. Als Amal herunterkam, saß ihr Vater mit Saddam Hussein und dessen Sohn Udai am Küchentisch.
    Der Vorsitzende der Baath-Gewerkschaft war berühmt wegen seiner nächtlichen Besuche bei Freunden und Verbündeten – oder Leuten, die er als Verbündete zu gewinnen hoffte. In Interviews schrieb er diese Gewohnheit immer wieder unterschiedlichen Gründen zu: Schlaflosigkeit, einem vollen Terminkalender, der es schwierig mache, tagsüber private Kontakte zu pflegen, und einem Verlangen nach Ehrlichkeit. »Nach Mitternacht sind die Leute offener«, sagte er.
    Dies war Saddams erster Besuch dieser Art bei Shamal. Er war mit Gaben gekommen: einem versilberten Dienstrevolver und einer Kiste Whisky. Shamal bemühte sich, eine angemessene Kombination von Empfindungen zur Schau zu stellen – Geehrtsein wegen des hohen Besuchs, Dankbarkeit für die Geschenke, weltmännisches Hinwegsehen über deren partielle Ungesetzlichkeit – und dabei respektvoll unverbindlich zu bleiben, was die vorgeschlagene Allianz betraf.
    Es war ein schwieriger Balanceakt für zwei Uhr nachts, und Amal bekam dessen Ausgang nicht mit. Sie und ihre Geschwister durften nur ein paar Minuten im Zimmer bleiben, gerade lang genug, um vorgestellt zu

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