Mirage: Roman (German Edition)
ein, dass sie Anlass zum Argwohn hatte, waren aber trotzdem der Ansicht, die Sache sei höchstwahrscheinlich ein Zufall gewesen. Schließlich habe Amal ihnen selbst gesagt, dass ihr Vater jeden Tag eine andere Route zur Polizeistation genommen hatte, genau um zu vermeiden, in eine Falle gelockt zu werden. Amal hätte sich gern dieser Überlegung angeschlossen – es war leichter, mit einem Zufall zu leben –, doch sie wusste auch, dass die Wahrscheinlichkeit eines abgekarteten Spiels zum Teil einfach davon abhing, wie viel Geduld die Mörder aufzubringen bereit gewesen waren.
Amals Mutter zog nie in Zweifel, dass Saddam für die Sache verantwortlich war. Bei dem Begräbnis stand sie auf, um eine – scheinbar spontane, aber tatsächlich mit Hilfe von Tante Nida sorgfältig verfasste – Rede zu halten, in der sie die Trauergäste fragte, ob sie wirklich weiter in einem Klima der Angst leben wollten. In den folgenden Wochen hielt sie weitere Reden, vor immer größeren Menschenmengen. Auch wenn sie Saddam Hussein nie namentlich erwähnte, bekamen ihre Zuhörer die Botschaft klar und deutlich mit, und zuletzt auch Saddam selbst, der ein paar seiner Männer vorbeischickte, um eine der Reden zu stören. Das Resultat war ein weiteres Foto, fast so berühmt wie »Der Moment«: Amals Mutter auf dem Podium, den Finger auf einen von der wütenden Menge angegriffenen baathistischen Zwischenrufer gerichtet, dessen Gesichtsausdruck bei der Erkenntnis, wie falsch er die Stimmung der Zuhörer eingeschätzt hatte, von Arroganz in Panik umschlägt.
Es war eine nette Szene, gut genug, um Amals Mutter nach ein paar weiteren Höhen und Tiefen das Amt der Bürgermeisterin einzubringen. Aber wie viel Gutes sie dort auch geleistet hatte und wie viel Gutes Amal auch als Bundesagentin geschafft haben mochte, zwei Dinge blieben unverändert: Saddam Hussein war noch immer ein freier Mann; und Shamal war noch immer tot.
Die Außentür des Wartezimmers öffnete sich, und Amals Mutter kam herein, begleitet von Amals Bruder Ali, der Chef ihres Stabes war, und Amals Bruder Haidar, ihrem Sicherheitschef. Während sie den Raum durchquerten, sah Amals Mutter ihre Tochter, nickte, lächelte und bedeutete ihr mit einer Geste mitzukommen, alles, ohne aus dem Tritt zu geraten oder ihr Gespräch zu unterbrechen.
Einen Augenblick später waren sie im Allerheiligsten. Ali und Haidar entschuldigten sich beide; Ali sagte: »Zehn Minuten«, und zwinkerte dabei Amal zu, während er das Büro verließ.
»Na«, sagte Amals Mutter. »Ich habe in letzter Zeit ja einiges Gute über dich gehört. Wie es heißt, hast du einem weiteren Agenten das Leben gerettet.«
»Ja, habe ich«, sagte Amal.
»Und einen Terroristen erschossen.«
»Ja.«
»Aber es hat kein Pressekommuniqué gegeben«, merkte ihre Mutter an. »Keine öffentliche Anerkennung deines Heldenmuts.«
»Bei dem Einsatz gab es ein paar Probleme.«
Ihre Mutter übersetzte. »Jemand anders hat Scheiße gebaut, und du hast seinen Arsch gerettet … Umso mehr Grund, dich zu loben. Das braucht keinen in Verlegenheit zu bringen – die können die Patzer doch aus der offiziellen Mitteilung herauslassen.«
»Ich werde durchaus anerkannt«, sagte Amal. »Intern.«
»›Intern‹.« Ihre Mutter verdrehte die Augen. »Was das heißt, weiß ich.«
»Mutter, bitte. Es ist nicht so, dass ich mich gegen eine öffentliche Belobigung sträuben würde, aber …«
»Na, das trifft sich gut, denn du bekommst eine.«
»Aber das ist nicht der Grund, weswegen ich mich mit dir treffen wollte. Ich …«
»Ich mache mir gerade eine Notiz in meinem Terminkalender. Ich treffe mich am Mittwoch mit dem Vizedirektor des Heimatschutzes, da kann …«
»Anwar hat mich angerufen.«
Ihre Mutter erstarrte, die Hand auf ihrer Handtasche. »Sadat, will ich hoffen«, sagte sie.
Amal erzählte ihr die Geschichte. Als sie fertig war, stand ihre Mutter mit verschränkten Armen da und schüttelte den Kopf.
»Warum hast du eingewilligt, dich mit ihm zu treffen?«
»Er hat mich praktisch angefleht.«
»Na und?«
»Na ja, ich hatte keine Lust, dass er im Büro aufkreuzt.«
»Wenn er im Büro aufkreuzt, hast du Sicherheitspersonal, das ihn abwimmelt. Mein Gott, Amal …« Ihre Augen wurden schmal. »Wer hat das Restaurant ausgesucht?«
»Ich, warum? … Was denn, du glaubst, es geht um Erpressung? Versteckte Kameras? Anwar verwanzt?«
»Das ist nicht zum Lachen, Amal«, sagte ihre Mutter. »Die Abstimmung über den Entwurf des
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