Mirage: Roman (German Edition)
begannen, Infrastrukturobjekte im ganzen Land anzugreifen: Autobahnbrücken und -tunnel, Rangierbahnhöfe sowie jedes Fahrzeug, das so aussah, als könnte es Raketenteile transportieren. Inzwischen stand auch die Hauptstadt auf der Liste der Angriffsziele. Der Flughafen in Wien war ein von Kratern übersätes Ruinenfeld, und die Donaubrücken waren alle schwer beschädigt oder zerstört, wodurch die Stadt in zwei Teile geschnitten war.
»Samir«, sagte Mustafa. »Stimmt was nicht mit dir?«
»Was?«
Sie saßen in einem schwarzen Transporter und fuhren imMorgengrauen auf dem Flughafenzubringer in westlicher Richtung. Während der ganzen Fahrt hatte Samir mit finsterer Miene aus dem Fenster gestarrt.
»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, sagte Mustafa. »Du bist schon seit Tagen so.«
»Es ist nichts«, sagte Samir und rang sich ein Lächeln ab. Er nickte zum Radio hin. »Es stinkt mir bloß, dass ich diesen Winter wohl nicht zum Skifahren in die Alpen kann.«
»Samir …«
»Außerdem habe ich gehört, dass die Israelis das Hotel in die Luft gejagt haben, in dem diese Schokoladentorten mit Aprikosenmarmeladefüllung gemacht wurden. Ich hatte schon immer mal eine probieren wollen.«
»Nein, ernsthaft, Samir. Hat es was mit Najat zu tun? Oder deinen Jungs?«
»Najat hasst mich, was, wie wir wissen, vollkommen normal ist. Und das einzige Problem mit Malik und Jibril ist, dass ich sie seit Monaten nicht gesehen habe.«
»Was ist es dann? Machst du dir immer noch Sorgen, Idris könnte uns auf die Pelle rücken?«
Samir seufzte. »Und was, wenn es so wäre, Mustafa? Was würdest du dann tun, ihm meinetwegen Prügel androhen?«
»Samir …«
»Bitte, lass es einfach. Es ist alles in Ordnung, wirklich.«
Der Internationale Flughafen Bagdad war direkt vor ihnen. Mustafa nahm die Ausfahrt zur Frachtumschlaghalle und folgte den Schildern zur Abfertigung des Arabischen Paket-Dienstes.
Der Mann am Kundendienstschalter las gerade ein syrisches Neues Testament. Er begrüßte Mustafa und Samir herzlich, wurde aber abweisend, als er ihre Ausweise vom Heimatschutz sah. »Geht’s um eine verpasste Lieferung?«
»Nein«, sagte Mustafa. »Wir sind hier, um ein Paket abzufangen, das Beweismittel zu einer laufenden Ermittlung enthält. Ich habe darüber telefonisch mit einem IhrerDienstvorgesetzten namens Abd ash-Shakur gesprochen. Er …«
»Abd ash-Shakur ist nicht da. Haben Sie eine richterliche Anordnung für das Paket?«
Froh, jemanden zu haben, an dem er seine schlechte Laune auslassen konnte, beugte sich Samir über den Schaltertresen. »Warum, sind Sie Anwalt?«
»Meine Tochter ist Anwältin«, sagte der Mann. »Sie arbeitet für die Arabische Bürgerrechtsunion. Soll ich sie anrufen?«
»Nicht nötig«, sagte Mustafa und legte Samir eine Hand auf die Schulter. »Wir sind nicht darauf aus, Christen zu drangsalieren, Bruder.«
»Ah, dann wollen Sie also die Bürgerrechte eines Muslims verletzen! Und ich soll dazu lächeln und Ja und Amen sagen? Für was für eine Sorte Christ halten Sie mich eigentlich?«
»Ich werde dir sagen, was für eine Sorte Christ du bist«, steuerte Samir bei.
»Bitte, Bruder«, sagte Mustafa. »Dein Respekt vor der Verfassung ist bewundernswert, aber dies ist ein Fall, in dem selbst ein guter Christ uns helfen wollen sollte.«
»Selbst wenn ich euch glauben sollte, kann ich nichts tun«, entgegnete der Mann. »Wenn Abd ash-Shakur ein Paket für euch zurückgelegt hätte, dann läge es jetzt hinter diesem Schalter, aber wie Sie sehen können, ist hier nichts. Das bedeutet, es ist in einem Lieferwagen, und die meisten Lieferwagen sind schon losgefahren.«
»Na, dann brauchst du sie doch nur zurückzurufen, oder?«, sagte Samir.
»Das kann ich nicht, selbst wenn ich wollte. Die Lieferwagen haben keine Funkgeräte.«
»Ich dachte, sie stehen alle in elektronischer Verbindung«, sagte Mustafa.
»Das stimmt auch, aber es ist eine einseitige Verbindung.Wenn eine Zustellung erfolgt – oder versucht worden – ist, schickt das System eine automatische Mitteilung ab, sodass zahlende Kunden – und nicht Regierungsschläger – den Status ihrer Sendung überprüfen können. Aber ich habe keinerlei Möglichkeit, meinerseits eine Nachricht abzusetzen.«
»Und in einem Notfall? Was tun Sie, wenn im Lieferwagen eine Bombe ist?«
»Auf die Gnade des allmächtigen Gottes vertrauen, an den alle guten Menschen glauben.«
Mustafa stellte fest, dass er diesen Typen, trotz seiner
Weitere Kostenlose Bücher