Mirage: Roman (German Edition)
Fluchtweg, und Samir stellte betroffen fest, dass sie alle irgendeine improvisierte Schlagwaffe in der Hand hielten: ein Brett, eine Armierungsstange, ein abgebrochenes Stuhlbein, ein Brecheisen.
»Idris«, wiederholte er, diesmal mit hörbarer Panik in der Stimme. »Bitte …«
»Schweig, Sodomit«, sagte Idris. »Ich bin nicht hierhergekommen, um dich betteln zu hören.« Ein mutigerer Mann hätte dieser Behauptung vielleicht widersprochen. Als er ihm ins Gesicht schaute, sah Samir denselben Idris, den er auf der Volksschule gekannt und gefürchtet hatte: einen religiösen Schläger, der behauptete, Gott zu lieben, es aber ebenso liebte, andere zu schikanieren – und daher die Sünde liebte, als einen Vorwand für Gewalt. Du widerst mich an , sagte seine Miene. Ich bin froh, dass du mich anwiderst. Jetzt kann ich dir mit Gottes Segen wehtun .
»Ich habe Mustafa eine Chance geboten, mit mir zusammenzuarbeiten, aber er hat abgelehnt«, fuhr Idris fort. »Er ist stolz, und er hat keine Angst zu sterben. Also bin ich gezwungen, mich stattdessen mit der Schwäche und Perversion abzugeben.« Er deutete auf die leere Wand, wo eigentlich der Tresen hätte sein sollen. »Das ist ein klarer Fall von Kanonen und Spatzen. Du bist ein Feigling, und Feiglinge sind leicht zu brechen. Aber Senator Bin Laden hat mich angewiesen, dafür zu sorgen, dass du auch wirklich begreifst, wie ernst wir es meinen – und wie weit wir bereit sind zu gehen, um dich zu zerstören, wenn du nicht genau das tust, was man dir sagt.«
Der Türsteher erschien neben Samir, einen Stoß Fotos in der Hand. Wie ein Zauberer, der einen magischen Kreis abschritt, begann er, gegen den Uhrzeigersinn um Samir herumzugehen und dabei ein Foto nach dem anderen herauszuziehen und Samir vor die Füße zu werfen. Samir blickte zu Boden und sah sich selbst in den Armen eines anderen Gastes des Lokals; dann schloss er die Augen.
»Für das, was du bist, verdienst du es, hingerichtet zu werden«, sagte Idris. »Und du weißt, dass ich es mit Vergnügen tun werde. Aber dass eins klar ist – wenn du mir Grund dafür gibst, werde ich dich nicht lediglich töten. Ich werde dein Andenken in Schande begraben. Jeder, der dich kennt, jeder, der dich je Freund genannt oder je ein freundliches Wort zu dir gesprochen hat, wird erfahren, was für eine Sorte Mensch du genau bist. Jeder. Das schwöre ich.«
Samir öffnete die Augen, als der Türsteher gerade seine fünfte und letzte Runde beendete. Der Türsteher hielt das letzte Foto in die Höhe, eine Vergrößerung des Schnappschusses aus Samirs Brieftasche: Malik und Jibril, lächelnd, vielleicht auch ein bisschen traurig darüber, dass ihr Vater nicht mehr bei ihnen lebte – aber Gott sei Dank ahnungslos, was dessen Gründe anging.
» Jeder «, sagte Idris.
Republik
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Eine Republik ist eine Regierungsform , bei der das Staatsoberhaupt kein Monarch ist und seinen Bürgern bis zu einem gewissen Grad Rechenschaft schuldet. Der Begriff wurde vom christlichen Philosophen Niccolò Machiavelli in Anlehnung an das lateinische res publica geprägt, »öffentliche Sache« …
Wie » Demokratie « und » Freiheit « wird das Wort »Republik« bisweilen von Diktatoren verwendet, um eine in ihrer Machtfülle begrenzte Regierung zu suggerieren. Daher auch das Kompositum »Volksrepublik«, das zunächst wie eine Tautologie klingt, tatsächlich aber ein Beispiel für die Untermauerung einer Lüge durch ihre Wiederholung darstellt.
D ie Israelis bombardierten Wien.
Während des Wochenendes hatten katholische Guerillas eine israelische Grenzpatrouille westlich von Salzburg überfallen und zwei Soldaten nach Österreich verschleppt. Die Hügel rings um Salzburg waren voll von Tunnel und Befestigungsanlagen und so vielen versteckten Raketenabschussrampen, dass die Region den Spitznamen »Peenemünde-Süd« trug; israelische Truppen, die versuchten, ihre entführten Kameraden zu retten, gerieten unter schweren Beschuss, und als sie den Angriff fortsetzten, begannen die Von Brauns auf den Hügeln, Terrorbomben auf jüdische Siedlungen in Bayern abzufeuern.
Die israelische Luftwaffe beschoss Salzburg und Umgebung zwei Tage lang ohne Unterbrechung, aber die Raketenangriffe hörten nicht auf. Am dritten Tag entschloss sich der Premierminister in Berlin zu einer neuen Strategie, die von der Kollektivschuld des Wiener Parlaments und des gesamten österreichischen Volkes an den Verbrechen der Guerillas ausging. Israelische Bomber
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