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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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war, hat er mich benachrichtigt.«
    »Ach ja, die Absenderadresse … Qusai hatte mich deswegen gewarnt. ›Miet dir einen E-Briefkasten‹, sagte er. Aber das ist so ein Umstand, und dazu für etwas, das nicht einmal illegal ist.«
    »Der Name Ihres eBasar-Kontos ist auch nicht gerade unauffällig«, merkte Mustafa an.
    »Tja, was das angeht, konnte ich nicht widerstehen. Ich bin schon immer ein Bewunderer Nebukadnezars gewesen.«
    »Den Eindruck habe ich.«
    »Mein erster Roman war ihm gewidmet … Er war ein großer Führer. Ein großer arabischer Führer, anders als Salah ad-Din, der das Unglück hatte, als Kurde geboren zu werden.« Saddam bekam einen gedankenverlorenen Ausdruck, während er einen Schluck Whisky trank. »Wissen Sie, die Juden sagen, Nebukadnezar sei verrückt geworden. Und blieb es sieben Jahre lang. Von seinem Thron in Babylon verbannt, gezwungen, wie ein niedrig Geborener zu leben …«
    »Wie ein Tier eigentlich«, sagte Mustafa, der im Rahmen seiner Recherchen über die Entrückungstheologie das Buch Daniel gelesen hatte. »›Man wird dich aus der Gemeinschaft der Menschen verstoßen, und du musst bei den wilden Tieren des Feldes leben.‹«
    »Aber die Geschichte geht gut aus«, sagte Saddam. »Nach Ablauf der sieben Jahre kehrte der Verstand zum König zurück, und der König erhielt seinen Thron wieder.«
    »Ja.« Mustafa warf einen Blick auf die Whiskyflasche. »Nachdem er sich Gott unterworfen hatte und ein rechtschaffener Mensch geworden war …«
    Saddam schien über irgendetwas zu grübeln. Schließlich griff er unter seinen Schreibtisch und betätigte einen versteckten Schalter. Der Wandabschnitt, an dem der Stadtplan von Hilla montiert war, erzitterte und begann, einwärts zu schwingen.
    »Trinken Sie aus«, sagte Saddam. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    »Das nenne ich mein AR-Zimmer«, sagte Saddam Hussein. »AR steht für ›alternierende Realität‹ – kennen Sie den Ausdruck? Das ist so eine neue Mediengeschichte.« Er wedelte mit den Händen in der universalen Geste der Über-Fünfzigjährigen, die versuchen, sich in der Welt des Internetzes zurechtzufinden. »Meine Tochter Hala hat mir das erklärt. Die machen das neuerdings, um Filme oder neue Fernsehserien und manchmal auch Videospiele zu bewerben. Die platzieren Hinweise und Indizien im Cyber-Raum, sodass es wie ein Geheimnis oder ein Rätsel aussieht, das die Leute lösen müssen, aber in Wirklichkeit ist es Werbung.«
    »›Die‹?«, sagte Mustafa.
    »Bollywood. Die Hindus haben die Methode erfunden. Aber inzwischen macht das die Filmindustrie auch bei uns, und in Israel. Manche der innovativeren AR-Produktionen sind sehr komplex, nicht bloß so Sachen im Internetz, sondern auch reale Veranstaltungen, mit realen Requisiten. Hala, die sich sehr für die neuen Medien interessiert, hat von einer AR-Kampagne Wind bekommen, die sichum mich zu drehen schien. Sie wissen ja, dass ›Zabiba und der König‹ verfilmt wird – falls mein Produzent jemals den Arsch hochkriegt –, also dachte ich zunächst, das hinge damit zusammen. Aber in der Produktionsfirma wusste keiner was davon. Also habe ich meine Leute auf die Sache angesetzt, und sie fingen an, diese Dinge zu finden, diese …«
    »Artefakte.«
    »Ja. Wie Teilchen eines Puzzles. Wie Sie sehen können, ist jemand ganz schön auf mich fixiert.«
    Das Zimmer glich einem kleinen Museum, dessen Exponate um dasselbe Thema kreisten wie die Schmeichelkunst-Objekte im Rest des Hauses. An den Wänden hingen hinter Glas viele Ausschnitte aus Zeitungen und Zeitschriften, alle mit Saddams Porträt. Die meisten Ausschnitte stammten offenbar aus englischsprachigen Publikationen – oder besser gesagt, Geisterpublikationen: Mustafa machte mehrere Titelseiten der ›New York Times‹ aus.
    Vitrinen in der Mitte des Raumes enthielten andersgeartete Artefakte. Mustafa blieb kurz vor einem großen Schaukasten stehen, in dem ein Kriegsspiel aufgebaut war. Das Spielbrett zeigte das in Sektoren unterteilte Nordamerika; eine Invasionsstreitmacht von knallbunten Plastikpanzern und -soldaten war an der Ost-, West- und Golfküste gelandet und stieß in das Landesinnere vor. Mustafa begriff zunächst nicht, wie das in das Grundthema des Zimmers passte, doch dann sah er die Illustration auf dem Deckel der Schachtel – das Gesicht des Oberbefehlshabers der Invasoren –, und er verstand.
    »Was bedeutet das nun alles?«, fragte Mustafa. »Wenn das ein Rätsel ist, wie lautet die

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