Mirage: Roman (German Edition)
darunter den Wasserpark Hängende Gärten .
Große Popularität genießt Nebukadnezar auch bei ehrgeizigen Politikern. Laut einer von der Riader Wochenschau durchgeführten Umfrage wurde Nebukadnezar unter den historischen Führern, mit denen sich arabische Präsidentschaftskandidaten verglichen, in der Beliebtheitsskala lediglich vom heiligen Krieger Salah ad-Din auf den zweiten Rang verwiesen.
W ährend der Rep-Gardist ihn abtastete, betrachtete Mustafa das auf dem Bogen über dem Tor gemalte Motto der Baath-Gewerkschaft: »Erst handeln, dann reden«.
Eine wahrlich empfehlenswerte Lebensmaxime. Ihm wurde bewusst, dass er eigentlich wenigstens ein bisschen nervös sein sollte, aber seine einzige Sorge war momentan, das Gleichgewicht zu behalten. Während er im Transporter die Spielkarten durchsah, hatte er gespürt, wie ihm wieder schwindlig wurde, und auf dem Weg zum Tor war das Schwindelgefühl stärker geworden. Jetzt, da er an der Grenze von Saddams Republik stand, wurde jede Bangigkeit, die er sonst verspürt hätte, von ebendiesem Schwindel verschluckt, sodass er zwar wackelig auf den Beinen, aber ansonsten völlig gelassen war.
Der erste Gardist schloss seine Leibesvisitation ab, und ein zweiter trat vor, um die Prozedur zu wiederholen. Pistole, Brieftasche, Dienstausweis und Mobiltelefon hatte Mustafa, zusammen mit Saddams Päckchen, bereits abgeben müssen, und das alles wurde gleichfalls gründlichst unter die Lupe genommen. Ein Gardist, der der Führer der Torwache zu sein schien, gab Mustafas Namen und Bundesdienstnummer über Sprechfunk durch.
Mehrere Minuten vergingen. Mustafa schaute die Auffahrt zu Saddams Palast hinauf und sah einen Tierwärter, der einen Löwen an der Leine führte. Die Raubkatze blieb stehen und schnüffelte an den Reifen einer gepanzerten Limousine, die auf dem Wendeplatz parkte. Dann flog ein Vogel vorüber, und der Löwe schoss ihm, seinen Wärter im Schlepp, hinterher.
Die Tür des Palasts flog auf, und heraus trat das Kreuz-Ass. Qusai, der »gute« Sohn: kalt und beherrscht, weit weniger als sein Bruder Gefahr laufend, der Familie durch Schlagzeilen in der Klatschpresse Schande zu machen, und aus ebendiesem Grund eher dazu geeignet, mit Aufgaben betraut zu werden, die Diskretion erforderten. Halal- und Büro-Agenten waren sich darin einig, dass Qusai viel mehr Morde auf seinem Konto hatte als Udai. An diesem Morgen wirkte er nicht sonderlich gut gelaunt. Vielleicht hatte Mustafas Ankunft sein Frühstück unterbrochen.
Der Führer der Torwache übergab Qusai Mustafas Dienstausweis. Qusai warf einen flüchtigen Blick darauf und sagte dann: »Was wollen Sie hier?«
»Ich würde gern mit Ihrem Vater über seinen kürzlich getätigten Internet-Kauf sprechen.« Mustafa nickte in Richtung des Päckchens. »Und über etwaige weitere Dinge dieser Art, die er sich vielleicht angeschafft hat.«
»Ich weiß nicht, was für Dinge Sie meinen, aber ein Gespräch mit meinem Vater kommt nicht in Frage.«
»Mir ist klar, dass Ihr Vater ein viel beschäftigter Mann ist und Beamten der Exekutive kein übermäßiges Vertrauen entgegenbringt. Aber wenn ich ihm mein Anliegen direkt unterbreiten dürfte …«
»Sie dürfen nicht.«
»Dann richten Sie Ihrem Vater bitte aus, dass ich im besonderen Auftrag des Präsidenten arbeite, der jedem, der mich unterstützt, dankbar sein wird.«
Qusai zuckte nicht mit der Wimper. »Und wenn mein Vater an der Dankbarkeit des Präsidenten nicht interessiert ist? Was dann?«
»Bitte«, sagte Mustafa. »Ich spreche keine Drohungen aus, nur ein respektvolles Hilfeersuchen. Wenn Ihr Vater Nein sagt, gehe ich und werde ihn nicht weiter belästigen.«
»Einfach so, wie?«
»Hey.« Mustafa wies mit einer Hand auf die Welt jenseits des Tores. »Das ist ein freies Land.«
Es war die Sorte von großem Haus, die eigens dafür konzipiert zu sein schien, den Betrachter zur mehrmaligen Feststellung zu veranlassen, dass es wirklich groß war. Die gottlose Beschaffenheit des schieren Unmaßes, die grässliche Kitschigkeit von Mobiliar und Dekor, die ebenso wenig unkommentiert bleiben konnten – die waren vielleicht weniger beabsichtigt.
Für das Dekorationsvorhaben waren der Baath-Gewerkschaft nahestehende Künstler rekrutiert worden. Die prunkvolle Empfangshalle des Palasts zierte ein Gemälde, das Saddam und dessen Gemahlin Sajida als Staatsoberhäupter irgendeines antiken Reiches (Babylon, den Zikkurats im Hintergrund nach zu urteilen) darstellte. Dieses
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