Mirage: Roman (German Edition)
Konflikte
Wenngleich der von der Mahdi-Armee praktizierte Vigilantismus von manchen als ein notwendiges Übel entschuldigt wird, hat er der Organisation durchaus auch heftige Kritik eingebracht. Abgesehen von den weithin bekannten Übergriffen gegen Straßenräuber, Einbrecher, Drogenhändler, Prostituierte, Gotteslästerer und Homosexuelle werden der Mahdi-Armee auch Tätlichkeiten gegen unschuldige Sunniten vorgeworfen, die sich in ihr Revier verirren.
Die Mahdi-Armee ist außerdem wiederholt mit der Bagdader Polizei in Konflikt geraten. Letztere hat bei solchen Zusammenstößen häufig den Kürzeren gezogen, mit dem Resultat, dass Polizeibeamte jetzt nicht mehr bereit sein sollen, Sadr-Stadt und andere Hochburgen der Mahdi-Armee ohne massive Verstärkung zu betreten. As-Sadrs Sprecher behauptet, derlei Spannungen könnten nicht der Mahdi-Armee angelastet werden: »Wir gehen nicht gegen alle Polizisten vor, nur gegen die korrupten. Leider ist es ebenso schwierig, in Bagdad einen ehrlichen Polizisten zu finden wie in Sodom einen Gerechten.«
Die Mahdi-Armee soll darüber hinaus in einen neuerdings zu verzeichnenden rasanten Anstieg von tätlichen Angriffen auf Mitglieder der Baath-Gewerkschaft verwickelt sein. Zwar wird die Baath schon lange für die in Sadr-Stadt grassierende Korruption verantwortlich gemacht, aber es gibt Spekulationen, das wahre Motiv für die Gewalttaten sei ein persönlicher Rachefeldzug gegen den Baath-Vorsitzenden Saddam Hussein, den manche verdächtigen, die Ermordung von Muqtada as-Sadrs Vater angeordnet zu haben. Aber was auch der wirkliche Grund ist, Baath-Mitglieder und -Sympathisanten machen einen noch weiteren Bogen um Sadr-Stadt als die Polizei …
M ustafa rief seinen Vetter Iyad an.
Iyad war der Sohn Fayyads, des Onkels, der Gott wie einen säumigen Schuldner behandelte. Vielleicht als Reaktion auf die weltliche Gesinnung seines Vaters war Iyad als junger Mann sehr religiös gewesen und hatte eine Zeitlang sogar Theologie studiert, um schiitischer Geistlicher zu werden. Letztlich seinem Vater doch ähnlicher, als er zugeben wollte, hatte er das Studium abgebrochen und war Taxifahrer geworden. Er unterhielt allerdings weiterhin gute Beziehungen zu seinen ehemaligen Kommilitonen, und als die Mahdi-Armee die Macht in Sadr-Stadt übernahm, wurde Iyad zu einem der wenigen Auserwählten in ganz Bagdad, die innerhalb des Distrikts Personen befördern durften. Ein paar hohe Tiere bei der Armee hatten ihn auf Kurzwahltaste, und ein, zwei Mal hatte er – jedenfalls nach eigenen Angaben – sogar den Sohn des Ayatollahs gefahren.
Iyad erledigte aber auch noch andere Aufträge für die Mahdisten. Ein paar Jahre zuvor war er wegen Sachbeschädigung, begangen in einem Wettbüro, das zu nah an Sadr-Stadt eröffnet worden war, festgenommen worden. Mustafa hatte damals bei der Polizei interveniert und erreicht, dass Iyad ohne Anklage und ohne weitere Strafe als die Prügel, die er bereits bezogen hatte, wieder freigelassen wurde.
Also war Iyad ihm eine Gefälligkeit schuldig. Obwohl Iyad ein Verwandter war, hütete sich Mustafa jedoch, ihm am Telefon zu sagen, was er von ihm wollte. Stattdessen ließ er Iyad zu sich kommen, als Abu Mustafa gerade nicht in der Wohnung war, und erklärte ihm die Gefälligkeit persönlich, bemüht, sie wie nichts weiter Aufregendes klingen zu lassen.
Iyad fiel nicht darauf herein. »Ich soll dir helfen, für Saddam die Mahdisten abzuzocken?« Er legte den Kopf schief und musterte die Naht an Mustafas Hals. »Ich habe gehört, dass du verletzt worden bist, Vetter, aber ich wusste nicht, dass dabei dein Oberstübchen einen Schaden davongetragen hat.«
»Ich will überhaupt niemanden abzocken«, sagte Mustafa geduldig. »Ich will den Mahdisten ein Angebot unterbreiten.«
»Für etwas, das Saddam haben will. Du glaubst, du kannst ihnen so viel anbieten, dass sie ihre Blutfehde vergessen?«
Mustafa glaubte das tatsächlich, aber er sah keinen Grund, es zuzugeben. »Ich werde im Namen des Heimatschutzministeriums verhandeln. Der Rachefeldzug der Mahdisten gegen Saddam hat damit nichts zu tun.«
»Die Mahdisten könnten da anderer Ansicht sein«, sagte Iyad. Er runzelte die Stirn. »Ich bin nicht mal sicher, dass ich nicht auch anderer Ansicht bin. Was ist mit deinem Schwur, dieses Ungeheuer hinter Gitter zu bringen? Und jetzt arbeitest du als sein Laufbursche?«
»Ich bin niemandes Laufbursche«, sagte Mustafa. »Aber ich habe eine Mission, und Saddam hat
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