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Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)

Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)

Titel: Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Lüer
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Frau Mertens Sohn, welches geprägt war von Krankenhausaufenthalten, einer Operation im sechsten Lebensmonat und der Erkenntnis, was es bedeutet, die Mutter eines behinderten Kindes zu sein:
     
    Drei Tage später, ich kam gerade von einem Telefongespräch, war ich mit anderen Frauen im Fahrstuhl der Frauenklinik. Eine von ihnen kannte ich noch von den Voruntersuchungen. Sie fragte: „Na, ist jetzt ihre kleine Tochter da?“ „Nein, es ist ein Junge. Mein Gynäkologe hatte sich beim Ultraschall geirrt, als er sagte: Das wird zu 90% eine Tochter!“ Sie sagte munter: „Das macht doch nichts, Hauptsache gesund!“ Ich schaute ihr traurig in die Augen und erwiderte: „Er ist nicht gesund. Mein Sohn ist körperbehindert.“ Die Gespräche im Fahrstuhl wurden leiser und verstummten zum Teil. Jede der Frauen vermied es, mir in die Augen zu sehen, und war anscheinend erleichtert, als ich in der nächsten Etage ausstieg. Ich ging weinend in mein Zimmer, das ich mit zwei anderen Müttern teilte und vermied es nun meinerseits, ihnen in die Augen zu sehen und weinte still vor mich hin. Wie schädlich es für die Seele ist, Kummer zu verstecken, sollte ich erst Jahre später am eigenen Leib erfahren und verstehen.
     
    Dann folgte eine Stelle, der mich aufhorchen ließ:
    Einige Tage nach der Geburt hatte ich ein seltsames Erlebnis: Plötzlich fühlte und „sah“ ich, wie ein Geist neben Martins Wiege stand. Ich fühlte seine Emotionen und sah eine menschliche durchsichtige Gestalt, so als ob die Luft innerhalb der Umrisse etwas dichter sei. Dieser Geist (war es Martins Schutzengel???) sah mit großer Liebe, Wehmut und leisem Bedauern auf mein Kind. Als er merkte, dass ich ihn wahrnehmen konnte, verschwand er. Ich wunderte mich über seine Gefühle und die Botschaft, die darin war. So schlimm waren die Klumpfüße doch gar nicht! (Heute wundere ich mich darüber, dass ich mich damals nicht über die Erscheinung an sich gewundert habe.)
     
    Das konnte ich mir nicht erklären, außer mit einer echten, paranormalen Veranlagung. Ich erinnerte mich an Frau Mertens Worte über ihre Gespräche „mit Elfen.“ War die Behauptung, mit Elfen im Garten zu kommunizieren doch keine Altfrauenskurrilität? Sollte ich hier doch einer echten Begabung auf der Spur sein?
    Dann beschrieb Frau Mertens, wie sie sich nach der Klumpfuß-OP ihres Babys gefühlt hatte, im Aufwachzimmer neben dem OP-Saal, und das ging mir so richtig zu Herzen:
    Ich war tränenblind. Martin war schon wach und schrie aus Leibeskräften und konnte sich nicht beruhigen lassen. Er erkannte mich nicht einmal!
    In seinen Augen waren Angst und Schmerz, Entsetzen und die Frage:
    Warum hast du mich verlassen?
     
    Bis heute und wohl bis ans Ende meiner Zeit verfolgt mich diese Erinnerung. Tiefste Einsamkeit, Verlassenheit und panische, nackte Angst in den Babyaugen. Gibt es eine schlimmere frühkindliche Erfahrung?
    Waren diese Ängste der Grundstein für die spätere seelische Behinderung?
     
    So saß ich nun elend neben Martins Bettchen und versuchte, ihn mit meinen kalten Händen und meiner Stimme zu beruhigen – vergebens.
    Sein Herzchen raste, seine Stimme war heiser. Hin du wieder fielen ihm vor Erschöpfung die Augen zu, doch nur für einige Sekunden. Beim nächsten Geräusch schreckte er wieder hoch und schrie weiter. Noch nie zuvor hatte ich mich so hilflos gefühlt!
     
    Mit der „späteren seelischen Behinderung“ war wohl der Autismus gemeint, der am Anfang erwähnt wurde. Allerdings hatte nicht jeder Autist eine OP im Babyalter über sich ergehen lassen müssen. Aber es wunderte mich nicht, dass sie auf diesen Gedanken gekommen war. Dieses Erlebnis hatte aber auch in der Mutter seine Spuren hinterlassen:
    Doch dann zuhause war es seltsam mit mir. Ich war irgendwie gar nicht richtig anwesend. Immer noch hörte ich all die Babys schreien, sah die Station vor meinem geistigen Auge. Ein Teil meiner Seele schien im Krankenhaus geblieben zu sein. In den folgenden Tagen wurde ich von unerklärlichen Ängsten und Visionen heimgesucht, über die ich mit niemandem sprechen mochte.
     
    Es folgten dann Schilderungen über den Alltag mit zwei kleinen Kindern. Offenbar hatte Frau Mertens zwei Söhne zur Welt gebracht. Die ganze Familie war von der Therapie und was damit zusammenhing, beeinträchtigt:
    Der Alltag wurde immer stressiger. Die Übungen schafften wir nur 4 bis 6x täglich (8x war vorgesehen), 3x in der Woche mussten wir die Krankengymnastiktermine wahrnehmen.

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