Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
danach, seine Frau zu werden. Langsam lief mir ja auch die Zeit davon, die biologische Uhr ist die mit dem unbarmherzigsten Ticken von allen existierenden Uhren. Ich wollte nicht erst mit Ende 30 oder gar Anfang 40 mein erstes Kind bekommen. Mein Kinderwunsch war plötzlich erwacht, aber dafür umso heftiger.
Ich hatte von meinem Arbeitgeber noch 8 Tage alten Urlaub zu bekommen. Darum plante ich nun für mich einen Kurzurlaub auf Sylt bei meiner Mutter, bei Onkel und Tante. Die zweite Novemberhälfte war nicht die beste Zeit für einen Inselbesuch, doch wozu gab es warme Kleidung?
Als Mira mittags von der Apotheke zurückkam (sie hatte ihre Blutdrucktabletten geholt), sah sie, dass aus ihrem Briefkasten ein brauner Umschlag herausragte. Sie ärgerte sich über den neuen Briefträger, denn bei dieser Wetterlage würde die Post vom Sprühregen nass werden, wenn sie nicht vollständig in den Kasten eingesteckt wurde. Valerius war nie so gleichgültig gewesen.
Sie machte ihren Regenschirm zu, schloss die Haustür auf und stellte den Schirm in den Ständer. Dann öffnete sie den Briefkasten und nahm alles raus. Oh je, da war ja auch ein Brief von ihrem Vermieter dabei! Den würde sie gleich morgen an Markus weiterleiten. Aber wichtiger war ihr der braune Umschlag. Er trug den Absender vom Hospiz. Das konnten nur die Fragen sein.
Nachdem sie ihre Schuhe gewechselt und den Schirm in der Diele zum Trocknen wieder aufgespannt hatte, zog sie ihren warmen Mantel aus und die Hausstrickjacke über. Obwohl sie gut einheizte, war ihr immer etwas kalt. Ohne Strickjacke und die Wolldecke konnte sie nicht mehr lange still sitzen und dabei warm bleiben. Sie liebäugelte seit einiger Zeit mit diesen hässlichen Schaffell-Hausschuhen, die sie im Schaufenster gesehen hatte. Ach ja, „das Alter“…!
Mira ging ins Wohnzimmer und machte sich die CD von Joachim mit seiner Harfenmusik an, bevor sie in ihrem roten Sessel den Umschlag öffnete. Ja, es waren die erwarteten Fragen für den Workshop. Die erste lautete:
·„Was haben Sie in der Kleinkindphase von Martin gemacht, um immer die nötige Geduld mit Martin und ja, auch mit Markus zu haben?“
Mira fiel es leicht, diese Frage zu beantworten. Sie ging zum PC, fuhr ihn hoch, startete das Schreibprogramm und begann mit der Beantwortung der ersten Frage:
Die hatte ich einfach. Das ist meine Art zu lieben. Geduld ohne Ende. Im Kind das würdevolle Menschenwesen sehen, das es verdient hat, stets anständig behandelt zu werden, um jeden Preis. Ich habe mich immer gefragt: Was braucht das Kind jetzt wirklich? Aber ich kam auch immer wieder an meine Grenzen. Es kam durchaus vor, dass ich die Kinder auch mal angeschnauzt, ihnen gar einen Klaps gegeben habe. Ich erinnere mich an einen Spaziergang mit einer Gruppe von Müttern und Kindern. Ich schob eine Doppelkarre, beide Kinder waren ja noch so klein. Martin ist auf dem Weg immer und immer wieder übermütig aus der Karre rausgerutscht oder geklettert, weil er einen überbordenden Bewegungsdrang hatte und auch seinen Willen durchsetzen wollte, während Markus ganz ruhig und brav sitzen blieb und wir somit gut vorangekommen wären mit den anderen, wäre Martins Verhalten nicht gewesen! Jedes Mal aufs Neue habe ich ihn wieder ruhig und ohne Worte hineingesetzt, um dann weiterzuschieben. Eine andere Mutter fragte mich: „Wie kannst du nur dabei so ruhig bleiben? Ich hätte ihn längst angeschrien.“ Aber was hätte das gebracht, wenn ich mich hätte gehen lassen? Er war ja durch Worte nicht zu beeinflussen. In der Ruhe liegt die Kraft!
·„Wie haben Sie die furchtbaren Erlebnisse rund um Martins Tumor und seinen frühen Tod verarbeitet?“
Ich habe es verarbeitet, indem ich es erzählt, vor allem aber aufgeschrieben habe. Ich habe das Geschehen in eine handhabbare, lesbare Form gebracht, habe es immer wieder von neuem betrachtet, durchdacht, durchfühlt, durchleuchtet – habe nach dem Sinn des Ganzen gesucht. Habe mich geprüft: Gab es Versäumnisse meinerseits? Hätte ich es besser machen können? Hat es Auswege gegeben oder war sein Tod unvermeidbar? Warum war meine Liebe so (scheinbar) machtlos gewesen?
Ich habe mich sogar überwinden können, einen für meine damaligen gesellschaftlichen Kreise ungewöhnlichen Schritt zu gehen: Ich hatte ein Medium beauftragt, mit dem Jenseits Kontakt aufzunehmen. Ich hatte das Glück, an ein seriöses Medium zu geraten. Danach hatte ich noch zweimal andere Medien beauftragt (diesmal
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