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Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)

Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)

Titel: Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlies Lüer
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Jahre!
     
     
    Johanna und der Wind
     
    Johanna ging am Lister Weststrand entlang. In einem Korb trug sie eine Decke, eine Thermoskanne mit heißem Tee und eine Schachtel Kekse. Sie hatte auch ein kleines Buch dabei, ihren Zeichenblock und einige Stifte. Früher, vor vielen Jahren, war sie immer hierher gekommen, um zu zeichnen oder einfach nur den Sand unter ihren Füßen zu spüren. Sie genoss heute wie damals den Wind und die Meeresluft, das Glitzern der Sonne auf den Wellen.
    Sie hatte das Buch von Mira mitgenommen. Der Brief, den Mira ihr vor ihrem Umzug nach Sylt mit dem Buch zusammen geschickt hatte, diente ihr als Lesezeichen. Im Büchlein stand als Vorwort:
    Ich hoffe, dass dieses kleine Buch allen Lesern Kraft und Trost bringt. Ich möchte aufzeigen, dass es möglich ist, den Tod eines Kindes (oder jedes anderen geliebten Menschen) zu ertragen und den Schmerz zu verwandeln in neue Lebenskraft und -freude. Ich möchte zeigen, wie sehr der Mensch in eine Höhere Ordnung eingebunden ist.
    Wir werden getragen. Wir werden geliebt. Wir werden im Himmel, also in der geistigen Welt jenseits der Materie, erwartet.
    Was ich vor allem sagen will, als meine ganz persönliche Botschaft an alle Menschen, die in Not sind: Selbst in der tiefsten Dunkelheit verbirgt sich Licht!
    Seid getrost, Hilfe kommt, alles hat seinen SINN, die Liebe steht über allem, gebt nicht auf, verzweifelt nicht völlig. Alles geht vorüber, alles wird gut. Selbst „der Tod“ kann „gut sein“. Auf seine ganz eigene Art und Weise. Alles ist in der göttlichen Ordnung
    Ich konnte das damals immer fühlen, ich hatte dieses WISSEN in mir, dass da nichts wirklich „Böses“ mit uns geschah, sondern dass es innerhalb der göttlichen Ordnung war. Das verblüffte mich zutiefst, aber das Gefühl war ganz stark in mir!
    Ich kann sagen: Ich war Zeuge! Ich kann es bezeugen, denn ich habe es selber erlebt. (…)
    Johanna wollte das Büchlein heute am Strand weiterlesen. Sie brauchte etwas, was ihr helfen würde, diese heftigen Gefühle zu verarbeiten. Ihre Gedanken kreisten nur noch um die Verstorbenen, um ihre eigene Einsamkeit, um den Sinn, der sich hinter allem Schmerz verbergen sollte.
    In den ersten Tagen nach dem Umzug nach Sylt erlebte sie ein Hoch. Die neue und doch so vertraute Umgebung auf der Insel war für sie ein Jungbrunnen gewesen. Jeden Morgen stand sie mit Vorfreude auf, machte lange Spaziergänge und blühte auf. Vor allem auch, weil sie ihre Schwester in der Nähe hatte. Dennoch fühlte sie in sich unterschwellig stets einen nagenden Schmerz.
    Keine Schuld, keine Verantwortung für Benitos Tod, Überschätzung ihrer eigenen Kräfte, Hilfe auch annehmen können in scheinbar oder tatsächlich ausweglosen Situationen, Akzeptanz… was hatte Mira noch alles zu ihr gesagt? Sie wünschte sich jetzt, sie hätte es sich aufgeschrieben. Noch mehr wünschte Johanna sich, sie hätte aus der Existenz ihres ersten Kindes kein Geheimnis gemacht. Wenn sie damals schon jemanden wie Mira gehabt hätte, wäre ihr Leben sicher anders verlaufen. Sie hätte ihrem Ehemann und Melissa eine bessere Frau und Mutter sein können. Sie hätte für sich selbst ein besseres Leben haben können, vielleicht sogar echte, ungebrochene Lebensfreude! Doch ihr Schuldgefühl und die Scham waren ihre Gefängniswärter gewesen. So viele vergeudete, vergiftete Jahre!
    Johanna sinnierte über das Licht, das sich angeblich in jeder Dunkelheit verbarg. Sie konnte es nicht entdecken. Es sei denn, dass die Liebe, die sie für alle empfunden hatte, das Licht war, und dass sie Melissa als Licht ihres Lebens betrachten würde. Ihre Tochter war seit dem Tod ihres Mannes wirklich der einzige Lichtblick für sie gewesen. Als sie sich in diese Gedanken vertiefte, spürte sie, dass sie selbst für Melissa oft ein drückender Schatten gewesen sein musste. Durch ihre depressiven Phasen, durch ihr ängstliches Behüten, auch durch ihr „Klammern“. Sie hatte Melli erst mit Mitte zwanzig aus ihrer Obhut gehen lassen. Ach, könnte sie doch die Zeit zurückdrehen.
    In diesem Moment, als ihre Innenschau immer trüber wurde, kam ein frischer Windstoß auf. Sie schloss schnell das kleine Buch, damit die Seiten keine Knicke erleiden würden. Ihr war, als würde sie etwas im Wind hören. Es war ein lockender Ruf. Ihre Sicht auf das Meer und den wolkenverhangenen Himmel wurde gestochen scharf. Sie spürte die Lebendigkeit dieses Ortes bis tief unter ihre Haut. Johanna nahm seine Schönheit

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