Mischpoche
wahrscheinlich geglaubt, das Haus ist leer, und er hat nicht damit gerechnet, dass da die Dienstboten auftauchen. Und wie die dann gekommen ist, hat er natürlich gewusst, dass seine Strategie zum ersten Mal nicht verfangen wird.«
Nun schüttelte Bronstein erst recht den Kopf. »Das glaubst jetzt aber selber nicht, oder? Der hätt’ natürlich wieder seine Haberer für sich aussagen lassen. Dann sagen fünf Leute, klar, der hat mit uns tarockiert, und eine Hausdienerin sagt, er war’s. Da traut sich kein Richter einen Schuldspruch zu.«
»Aber die Geschworenen schon. Die sind heutzutage selbst Bedienstete und andere kleine Leute. Die nehmen so etwas sehr persönlich.«
»Wie schaut der überhaupt aus, der Wondratschek?«, fragte Bronstein unvermittelt. Pokorny kramte in seinen Aktenbergen und zog schließlich eine rote Mappe hervor, die er umständlich öffnete. Er entnahm ihr eine Polizeifotografie, die er Bronstein über den Schreibtisch hinüberreichte. ›Josef Wondratschek‹, las dieser, ›geboren 16. Juli 1890 in Engerau‹. Der Mann, der ihm hier entgegenblickte, wirkte ziemlich filigran. Schwer untergewichtig, traten ihm die Backenknochen deutlich aus dem eingefallenen Gesicht, während die Augen tief in den Höhlen lagen. Das schwarze Haar klebte fettig an der Stirn, wobei Bronstein nicht zu sagen vermochte, ob es einfach nur sehr lange nicht gewaschen worden war oder ob der Mann sie mit Brillantine pomadisierte. Unter der knöchernen Adlernase hing ein quadratisches Bärtchen, wie es viele Bauern in den alpinen Gegenden trugen.
»Der schaut ziemlich schwindsüchtig aus«, sagte er schließlich.
»Bitte schön, das weiß ich nicht«, entgegnete Pokorny. »Jedenfalls haben s’ uns den Fall vorige Woche zuwebeutelt, weils’ g’meint haben, das ist jetzt unsere Sache.«
»Aha – und warum weiß ich davon nix?«
»Na ja, Oberst, du hast ja ohnehin so viel um die Ohren, da wollt’ ich dir nicht den Fall auch noch umhängen.«
Unwillkürlich musste Bronstein schmunzeln. DAS war nun eine reine Schutzbehauptung gewesen. Pokorny hatte fraglos das dringende Bedürfnis verspürt, auch einmal einen Fall glanzvoll zu lösen und dafür höheren Orts belobigt zu werden. Da kam ihm jemand wie dieser Wondratschek gerade recht. Mutmaßlich wusste man ganz genau, wo der sich üblicherweise aufhielt, man brauchte ihn also nur noch einzukassieren und anschließend weichzuklopfen. Zumindest war Bronstein davon überzeugt, dass Pokorny so gedacht haben musste, als er den Fall Wondratschek klammheimlich zu seinem eigenen gemacht hatte. Und dass Pokorny nun so tat, als wäre es ihm nur darum gegangen, ihm, Bronstein, nicht noch mehr Arbeit aufzuhalsen, das war pure Schönfärberei. Die umso schaler schmeckte, als Pokorny ja offenbar in seinen Versuchen, den Wondratschek dingfest zu machen, kläglich gescheitert war. Nach außen hin aber bemühte sich Bronstein, sich nicht anmerken zu lassen, zu welchen Schlüssen er eben gekommen war.
»Verstehe. Und was ist jetzt also passiert, dass du dich gar so giftest?«
»Na, gar nix«, entfuhr es dem Untergebenen, »ich hab’ glaubt, ich hab’ den Filou im Sack, wie ich erfahren hab’, dass er heute Nacht im 15. draußen einen Stoß spielt. Aber das war offenbar eine Falschmeldung. Er war gar ned da und ist auch die ganze Nacht ned kommen. Und später hab’ ich dann g’hört, dass der Wondratschek in Wirklichkeit schon gestern früh palessiert ist.«
»So? Und wohin?«
Ein neuerlicher Wortschwall war die unausweichliche Folge dieser Frage. Weitschweifig erklärte Pokorny, man habe ihn wohl gelinkt, Wondratschek habe zu keiner Zeit vorgehabt, besagtes Café aufzusuchen. Vielmehr habe er nur versucht, Zeit zu gewinnen, um in aller Ruhe das Land zu verlassen, während sich die polizeilichen Ermittlungen – also seine, Pokornys – darauf konzentrierten, das Lokal in Fünfhaus zu überwachen. Spätere Recherchen, so das Resümee der langen Rede, hätten ergeben, dass Wondratschek am frühen Abend des Vortages einen Zug am Westbahnhof bestiegen habe, dessen Zielbahnhof Paris gewesen sei.
»Na, so was. Die ganze Wiener Polizei, mit der einsamen Ausnahme meiner Person, rückt aus, um einen Serieneinbrecher zu stellen, und der fahrt derweil seelenruhig an die Seine, um dort die Puppen tanzen zu lassen. Na, das nennt man wohl savoir vivre.«
»Das glaub’ ich nicht«, hielt Pokorny dem entgegen, wobei ihm der ironische Unterton seines Vorgesetzten wieder einmal völlig
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