Mischpoche
entgangen war. »Die Ermittlungsgeschichte zeigt eindeutig, dass der Wondratschek immer nur dann einen Bruch g’macht hat, wenn er das Vermögen aus dem jeweils vorigen Verbrechen restlos durchgebracht hat. Der hat immer alles auf den Kopf g’haut – für Wein, Weiber und Gesang, wie man so schön sagt. Und daher gehe ich davon aus, dass er vor der Jordanstraßensache abbrennt war wie ein Luster. Und nachdem die G’schichte so kolossal schiefgegangen ist, hat er sicher keine Zeit g’habt, irgendetwas von der Beute zu versilbern. Ich frag’ mich sogar, wie es ihm gelungen ist, an die Fahrkarte nach Paris zu kommen. Nach meiner Meinung ist der jetzt nicht im Moulin Rouge, sondern schlaft unter der Brücke, wennst weißt, was ich mein’, Oberst.«
»Dein Wondratschek ein … wie heißt das gleich noch einmal? – ein … ein Clochard? Wozu das denn? Das hätt’ er in St. Pölten billiger haben können.«
»Na, das glaub’ ich eh nicht. Ich denk mir etwas anderes.« Dabei bemühte sich Pokorny um einen hintergründigen Gesichtsausdruck. Bronstein spielte mit dem Gedanken, seinen Mitarbeiter nun nicht aus dieser Pose zu erlösen, sondern einfach eisern zu schweigen, bis Pokorny buchstäblich die Luft ausging, doch dann obsiegte das Mitleid, und Bronstein fragte, was er sich denn denke, der Pokorny.
»Ganz einfach. Der ist in Paris nur auf Zwischenstation. Der fahrt von dort mit dem nächsten Zug nach Süden, und dort schließt er sich der Fremdenlegion an.«
Die Fremdenlegion! Bronstein wusste um die vielen Geschichten, die sich um diese legendenumwobene Einheit rankten. Ein wüster Haufen von primitiven Kraftlackeln, die an den entlegensten Orten der Welt für die Tricolore Krieg führten. Unweigerlich entstanden in seinem Kopf die sandigen Weiten der Rifkabylen, wo ein windiger Berber, der, soweit sich Bronstein erinnerte, Abd El Krim hieß, seit einigen Jahren Europäer im Dutzend niedermetzelte. Ausgerechnet dorthin sollte der Wondratschek flüchten wollen? In Stein hatte er es sicher gemütlicher als in der nordafrikanischen Wüste.
»Ja«, fuhr Pokorny derweilen fort, »wenn du in die Fremdenlegion eintrittst, wirst du automatisch französischer Staatsbürger. Und wir haben den Aufdrehten.«
»Ist das sicher? Ich glaub’, Staatsbürger wirst erst, wenn du fünf Jahre Dienst geschoben hast bei denen.« Bronstein rief sich das Bild Wondratscheks noch einmal vor Augen. So schwächlich, wie der Mann aussah, würde er nie fünf Jahre durchhalten.
»Das ist doch egal«, protestierte Pokorny. »Wenn du als Österreicher in einer fremden Armee dienst, wird dir automatisch die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt. Und damit ist der Wondratschek automatisch aller Sorgen ledig. Denn selbst, wenn er nach Wien zurückkommt, können wir ihn höchstens als unerwünschten Ausländer abschieben.«
Bronstein schmunzelte. »Da hast aber nicht gut aufgepasst im Lehrgang. Für uns ist das völlig wurscht, was für eine Staatsbürgerschaft einer hat. Sobald er bei uns ein krummes Ding dreht, ist er fällig. Dann sitzt er. Ausgewiesen wird er bestenfalls danach. Du siehst also, die Legion nützt deinem Wondratschek original gar nix.«
Pokorny war nicht bereit, sich so schnell geschlagen zu geben. Er setzte zu einer Erwiderung an, als es an der Tür klopfte. Es war wenige Minuten nach 10 Uhr vormittags, und Bronstein fragte sich, wer da nun Einlass begehren mochte. »Herein!«, rief er mit sonorer Stimme.
Ein Bürodiener betrat den Raum. »Entschuldigung untertänigst die Störung. Aber der Herr Polizeipräsident hat für elf Uhr eine Sitzung anberaumt, an der, wie mir der Herr Hofrat auszurichten aufgetragen hat, auch der Herr Oberstleutnant teilnehmen soll.« Von der Mühe, eine solche Proklamation von sich geben zu müssen, überwältigt, sank der Beamte in sich zusammen, als hätte er eben ›Nenikekamen‹ gerufen. Bronstein war so fasziniert von der theatralischen Darbietung des Mannes, dass er gar nicht auf die Idee kam, sich zu fragen, von welchem Hofrat da die Rede sein könnte. Stattdessen erkundigte er sich nur nach dem Ort, an dem diese Sitzung stattfinden sollte.
Bronstein konnte eine gewisse innere Erregung nicht leugnen. Er stand seit rund 16 Jahren im Dienste der Wiener Polizei, doch niemals war jemand auf die Idee gekommen, ihn zu einer Versammlung der leitenden Beamten einzuladen, nicht einmal nach spektakulären Erfolgen, wie sie ihm im Laufe seiner Karriere mehrmals gelungen waren. Es
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