Mischpoche
gekommen war, was nun Pokornys Stimmung wieder verdüsterte.
»Wie verfahren wir jetzt in der Sache Wondratschek?«
»Gar ned.«
»Was heißt da gar ned? Wir können den doch ned laufen lassen! Du, das wird uns verfolgen bis an unser Lebensende. Wenn wir den nicht dingfest machen, dann werden wir jeden Tag an ihn denken.«
»Geh, bitte, lass die Kirche im Dorf. Hitler, Wondratschek, Krethi und Plethi. Das sind doch alles nur Nullen. Der Wondratschek wird froh sein, dass er bei uns ned Sacklpicken muss. Und wenn du recht hast, dann sitzt er jetzt ohnehin schon in irgendeinem Schiffanakl in Richtung Afrika. Von dort kommt er die nächsten 60 Monat’ dann eh ned weg, und eines sag ich dir, da kannst mich zitieren: in fünf Jahren werden wir an den Wondratschek genauso wenig mehr denken wie an diesen anderen Narren.«
1925: Er und Sie
»Hörst, erinnerst dich noch an den Schweinebären aus dem achten Hieb? Diesen Bettenreiter?«
Bronstein sah aus seinem Aktenberg auf und zog die Augenbrauen grüblerisch zusammen: »Du meinst den Bettauer, oder?«
»Wie auch immer«, raunte Pokorny und machte dabei eine wegwerfende Handbewegung, um danach erstaunlicherweise schweigsam zu bleiben.
»Und?«, murrte Bronstein nach einer Weile, der bohrenden Blicke überdrüssig. »Ja, ich erinnere mich. Wir haben ihn doch erst vor drei Wochen vernommen, wegen der Giftmischerin. Was soll mit dem sein?«
»Na ja. Da draußen ist seine Sekretärin und will eine Anzeige machen.«
Bronstein schloss den Aktendeckel möglichst geräuschvoll und seufzte vernehmlich: »Was denn? Hat schon wieder irgendwo irgendwer irgendwen vergiftet und beruft sich dabei auf diesen Schmierfinken als geistige Inspiration – oder was?«
»Nein. Soweit ich das verstanden habe, hat sie Angst um ihren Chef. Also, dass der jetzt das Opfer werden könnt’.«
So unlogisch schien das gar nicht zu sein. An der Person Hugo Bettauer schieden sich seit Jahren die Geister. Er galt als einer der erfolgreichsten und gleichzeitig kontroversiellsten Schriftsteller seiner Zeit. Seine Romane, durchweg ebenso reißerisch wie spannend, gingen weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln und erreichten Auflagen, von denen die erklärten Olympier der schreibenden Zunft wie Werfel, Zweig oder Musil nur träumen konnten. Erschien ein neues Werk aus der Feder Bettauers, so dauerte es in der Regel nur wenige Wochen, bis es auch schon verfilmt war. Und in die Lichtspiele, in denen diese Streifen gezeigt wurden, strömten die Massen ebenso wie zuvor in die Buchhandlungen, die Bettauers Bücher feilboten. Und damit hätte es sein Bewenden haben können. Doch diese Tätigkeit schien Bettauer nicht auszulasten, weshalb er eine eigene Zeitschrift gründete, der er es verdankte, seit geraumer Zeit heftig angefeindet zu werden.
Bronstein erinnerte sich noch gut daran, wie im Vorjahr die Wogen hochgegangen waren, als die Behörden Bettauers Blatt verbieten wollten. Das Magazin nannte sich ›Er und Sie‹ und wollte, wie Bettauer behauptete, sexualpolitische Aufklärung bieten. Doch real war das Blättchen nichts als Schweinekram, und so schossen sich vor allem die Kirche und die Deutschnationalen – für die Bettauer ob seiner Herkunft nach wie vor Jude war – auf den Mann ein.
»Na«, sagte Bronstein daher zu Pokorny, »das ist ja auch nichts Neues. Dieser großdeutsche Gemeinderat, der ruft ja schon seit Monaten dazu auf, den Bettauer zu lynchen. Und passiert ist nichts. Also warum fürchtet sie sich dann?«
»Das ist ja der Punkt. Sie sagt, jetzt wird’s wirklich ernst.«
»Na, Schmäh ohne?«
Pokorny nickte nur. Bronstein signalisierte durch schnelles Ausstoßen von Atemluft Unwillen, ließ seinen Körper auf die Sessellehne zurückfallen und meinte dann resigniert: »Na, dann brings‹ halt rein, in Gottes Namen.«
Pokorny entschwand am Gang und kam wenige Augenblicke später mit einer aparten Mittzwanzigerin wieder zurück. Sofort änderte Bronstein seine Haltung. War er eben noch wild entschlossen gewesen, die potentielle Nervensäge durch ein paar schneidende Worte aus dem Raum zu belfern, so beschloss er in dem Moment, als die Frau sich von Pokorny den Wintermantel abnehmen ließ, dass die Vernehmung der Dame oberste Beamtenpflicht sei, die mit aller Sorgsamkeit und ohne jede zeitliche Beschränkung gründlichst und bürgerfreundlichst zu erfolgen habe. Wie sagte doch Bürgermeister Reumann immer? Die ganze Verwaltung ist um des Volkes willen da! Na bitte, da
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