Mischpoche
wollten, und genau das machte sie dann wieder angreifbar. Hatten sie sich eben noch unbezwingbar gefühlt, so wurden sie nun wieder unsicher und suchten selbst nach möglichen Haken in ihrer Strategie. Meistens verwarfen sie dann am Ende ihre ganze Darlegung und kehrten zur Bockigkeit zurück.
Die Kunst der Vernehmung bestand folglich darin, sie genau in dem Augenblick zu beginnen, wo noch ein Quäntchen Euphorie vorhanden, die Saat des Zweifels aber schon gesät war. Just an dieser Stelle war die Verteidigung des Gegners am anfälligsten für Fehler. Und bei jemandem wie Deutsch veranschlagte Bronstein 90 Minuten zum Erreichen dieses Punkts. Er trank also in aller Ruhe noch einen Kaffee, rauchte eine Zigarette und begab sich dann langsam in Richtung Zellentrakt.
Wie gewöhnlich ging er zunächst in den Nebenraum, von wo aus man den Festgenommenen beobachten konnte. Dort warteten schon zwei Justizwachebeamte auf ihn. Er nickte ihnen jovial zu: »Und? Randaliert er schon?«
»Das nicht. Aber er beginnt g’rad, an seinen Nägeln zu kauen.«
Bronstein lächelte. Na bitte, ein gutes Zeichen.
»Ich geh‹ hinein, ihr haltet da die Stellung.«
Bronstein setzte sich Deutsch genau gegenüber. Er griff nach dem Aschenbecher, der sich in der Mitte des Tisches befand, und zog ihn zu sich. Dann holte er eine Zigarette aus seinem Etui und rauchte sie an. Genussvoll blies er den Rauch in Deutschs Richtung und schwieg. Die Stille legte sich bleiern über die beiden Männer.
»Willst mich mit dem Schmäh weichkriegen, Kieberer? Das kann ich dir gleich sagen, das funktioniert ned. Ich hab Zeit.«
Bronstein schwieg weiter.
»Na ehrlich«, setzte Deutsch nach, »ich hab keine Termine… Na gut, am 2. Oktober dann, weil da hat die Maly-Tant’ Geburtstag. Aber bis dahin ist mir wurscht, was ist.«
Stille am anderen Ende des Tisches. Nur die Zigarette knisterte leise, als Bronstein wieder einen Zug machte.
»Hörst, du g’fallst mir, Kieberer. Machst da auf Trappist oder was?« Deutsch bemühte sich um ein Kichern, doch es klang hohl und unsicher. Bronstein wusste, bald hatte er Deutsch genau dort, wo er ihn haben wollte. Eine Zigarette noch, und der Mann würde explodieren. Bronstein dämpfte seine Zigarette aus und ließ seinen Blick haargenau am gachen Toni vorbeischweifen.
»Schaust ins Narrenkastl oder was?«
Pause.
»Hörst, Kieberer, red mit mir! Was soll das? Wann nichts anliegt, dann kannst mich ja auslassen.«
Weiter Funkstille.
Endlich holte Bronstein ein weiteres Mal sein Etui hervor und steckte sich eine neue Zigarette an.
»Darf ich auch eine haben?«
Bronstein tat, als hätte er nichts gehört. Genüsslich rauchte er und übte sich ansonsten in Kontemplation.
»Hörst, ich hab dir schon im Café g’sagt, dass ich mit dem Bruch nichts zu tun hab’.« Und nach einer kleinen Weile: »Das müssen S’ mir glauben, Herr Major.«
Na bitte, er knickte allmählich ein.
»Willst dir das wirklich antun?«, brach Bronstein endlich sein Schweigen, »du wanderst lebenslang auf den Felsen. Ist dir das klar? Du wirst dort verrecken, wennst jetzt ned niederlegst. Das ist deine letzte Chance, dass du vielleicht in Freiheit stirbst. Also red’. Und schnell auch noch!«
»Hörst, Herr Major, das ist doch gar ned meine Visitenkarten, das weißt du auch! Ich wär doch nie so blöd, irgendwo einzusteigen, wenn auch nur die allerkleinste Gefahr bestünd’, dass dort jemand auftaucht. Dass Sie mir einen derartigen Pallawatsch zutrauen, des kränkt mich in meiner Ganovenehre.«
»Wer war’s dann?«
»Was weiß denn ich. Jedenfalls keiner von der Galerie, das kann ich dir sagen.«
Bronstein musste sich eingestehen, dass beide Aussagen ziemlich plausibel klangen. Obwohl jeder wusste, dass Anton Deutsch sicher schon zehn oder fünfzehn Einbrüche begangen hatte, konnte er nur ein einziges Mal überführt werden, und auch das nur, weil er entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten versuchte hatte, die heiße Ware direkt bei einem Hehler loszuschlagen. Genau deshalb würde der gache Toni einen solchen Anfängerfehler nicht begehen. Und wenn ein anderer aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen die Tat begangen hätte, dann wäre die Ware schon im Café Klein aufgetaucht. Bronstein dämpfte ärgerlich die Zigarette aus. Der Fall drohte, kompliziert zu werden.
»Weißt ja selber, wie’s ist«, fuhr Deutsch einstweilen fort, »das Milieu ist nimmer das, was es einmal war. Da tummeln sich jede Menge Ostler und sonstiges
Weitere Kostenlose Bücher