Mischpoche
die besten Tage hinter einem lagen.
Allerdings war der ganze Einbruch derart dilettantisch durchgeführt worden, dass Bronsteins Zweifel dadurch nur bestärkt wurden. Deutschs Methode bestand für gewöhnlich darin, ein Objekt lange Zeit auszuspionieren und die Gewohnheiten aller sich darin aufhaltenden Personen zu studieren, um nur dann einzusteigen, wenn er ganz sicher sein konnte, dort absolut niemanden anzutreffen. Außerdem pflegte er stets sofort ein hieb- und stichfestes Alibi vorzuweisen, wenn er tatsächlich etwas auf dem Kerbholz hatte. Und insofern war sich Bronstein schon nach den ersten gestammelten Worten des ›gachen Toni‹ sicher, dass der für die Tat nicht verantwortlich zeichnete.
Doch natürlich durfte man sich von solchen Überlegungen in der Ermittlungsarbeit nicht beeinflussen lassen. Mutmaßungen waren keine Beweise, und daher blieb Deutsch auch weiterhin ein Verdächtiger.
»Ich frag’ dich jetzt noch genau einmal: wo warst gestern auf d’Nacht? Entweder du gibst mir jetzt stante pede eine plausible Antwort, oder ich kastel dich ein. Alsdern! Ich höre.«
Der gache Toni begann sich zu winden. Nervös wetzte er auf seinem Sitzplatz hin und her. Wie auch Bronstein fühlte er unzählige Augenpaare auf sich ruhen. Anscheinend verfolgten alle, die zu dieser Zeit das Kaffeehaus bevölkerten, gespannt den Disput zwischen Räuber und Gendarm.
Natürlich musste der gache Toni Haltung zeigen. Das wusste er, und das wusste auch Bronstein. Innerhalb der Galerie bewahrte man sich nur dann einen gewissen Respekt, wenn man als Steher galt. Daher war von vornherein klar, dass Deutsch frühestens am Kommissariat singen würde, wenn es dafür keine Zeugen aus der Unterwelt mehr gab. Bronstein kannte die Regeln und wollte die Prozedur daher abkürzen.
»Gut, Toni, du hast deine Chance g’habt. Gemma!« Und nach einer kurzen Pause: »Oder soll ich dich gewaltsam in die Liesl schleppen lassen?«
»Wenn S’ meinen, Herr Major. Aber eines sag ich Ihnen: Sie haben den Falschen. Ich bin so unschuldig wie ein kleines Gschrapperl.«
»Jo eh«, sagte Bronstein mit einem Hauch Resignation in der Stimme. Dann wandte er sich an die beiden Zechkumpane Deutschs, mit denen dieser eben Karten gespielt hatte, als Bronstein im Café erschienen war. »Sie werden uns entschuldigen«, sagte er mit gespielter Ironie. Dann zog er Deutsch, der sich freilich nicht sonderlich wehrte, von seinem Platz hoch und führte ihn in Richtung Ausgang. Deutsch aber drehte sich noch einmal um und sagte mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen: »Es wird ned lang dauern, wir seh’n uns dann später.«
»Wer’s glaubt«, brummte Bronstein und schob den gachen Toni vor sich her.
Der Streifenwagen brachte die beiden direkt in das Polizeigefangenenhaus auf der Elisabethpromenade, wo Bronstein den Verdächtigen erst einmal eine Weile dunsten ließ. Er selbst genehmigte sich ein vorgezogenes Abendessen, das er in betonter Langsamkeit zu sich nahm. Deutsch sollte, so sein Plan, schon ordentlich genervt sein, wenn das Verhör endlich begann, denn aus langjähriger Erfahrung wusste er, dass Männer just dann Fehler machten, wenn sie die Contenance verloren. Und die Bedingungen dafür standen gut, denn Bronstein hatte Deutsch alles abgenommen, womit er sich irgendwie die Zeit hätte vertreiben können. So blieb dem Unterweltler nichts anderes übrig, als die Wände anzustarren.
Naturgemäß neigten Leute wie Deutsch dazu, die Wartezeit zunächst einmal dazu zu nützen, sich eine Strategie zurechtzulegen. Sie gingen ihre Optionen durch, achteten darauf, sich eine Geschichte ohne Widersprüche einfallen zu lassen, und memorierten diese dann mehrmals, um sie glatt und stimmig erzählen zu können.
Das dauerte, je nachdem, wie helle das jeweilige Gemüt war, zwischen 30 Minuten und einer Stunde. Dann fühlten sie sich sicher und für das Verhör gewappnet. Es war also ganz schlecht, just zu diesem Zeitpunkt in das Vernehmungszimmer zu kommen. Genauso unklug freilich war es, ein Verhör sofort beginnen zu wollen, denn da waren die Gauner in der Regel bockig und verlegten sich darauf, gar nichts zu sagen. Also musste man warten, bis sie mürbe wurden. Die Euphorie, eine lupenreine Rechtfertigung parat zu haben, dauerte im Allgemeinen etwa 30 Minuten. Dann wurde den Verdächtigen wieder langweilig, und sie begannen, ihre Geschichte erneut durchzugehen. Dabei fielen ihnen dann meist doch noch irgendwelche Details ein, die sie umgestalten
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