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Mischpoche

Titel: Mischpoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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stets fataler auswirken als jene anderer Menschen. Und so vermag ich rein gar nichts zu meiner Verteidigung zu sagen. Ich kann nur in aller Demut vor Sie, Fräulein Lang, hintreten und um Vergebung bitten. Und ich weiß natürlich auch, dass nichts, was ich noch dazu sagen könnte, Ihren Schmerz zu lindern in der Lage wäre. Und doch mag es Sie trösten, dass morgen im Wiener Landesgericht der Prozess gegen den heimtückischen Mörder Ihres so verehrten Herrn Hugo Bettauer beginnen wird, und ich versichere Ihnen, dass dieser Unmensch seiner Strafe nicht entgehen wird. Da kann ihm kein noch so gewiefter Anwalt – wie es der Anführer der österreichischen Nazis, der es sich natürlich nicht nehmen hat lassen, ihn zu verteidigen, sein soll – mehr heraushelfen. Und dass die Gerechtigkeit obsiegen wird, woran kein Zweifel bestehen kann, dass also die schreckliche Tat gesühnt und der Herr Bettauer so gerächt wird, mag wenigstens ein kleiner Lichtstrahl in dieser Finsternis für Sie, gnädiges Fräulein Lang, sein. Mehr vermag ich nicht mehr zu sagen. Ich verbleibe – ohne jede Erwartung eines Antwortschreibens – dennoch stets Ihr
    David Bronstein, Major.’
    Völlig gegen seinen Willen hatte sich in Bronstein gleichwohl ein Fünkchen Hoffnung eingenistet, die Dame würde, und sei es auch nur um der Höflichkeit willen, sich zu einer Antwort bereitfinden, doch dieses Fünkchen verglomm mit jedem Tag, der dahinschwand, mehr und mehr, bis Bronstein sich irgendwann gar nicht mehr daran erinnern konnte, diesen Brief überhaupt geschrieben zu haben. Nur, wenn Pokorny in einer seiner zahllosen Emanationen das Wort ›lang‹ benutzte, zuckte Bronsteins Auge noch unmerklich – so lang, bis auch diese Reaktion Geschichte war.
     

1926: Pülcher vom Grund
    »Aber wenn ich es Ihnen doch sag’, Herr Major. Ich bin Frank. Ich weiß überhaupt ned, wovon Sie reden.«
    Bronstein fand diese einfallslosen Unschuldsbeteuerungen der Unterwelt ermüdend. Die Galerie wusste haargenau, dass er ihr nicht glaubte, und doch legte sie immer wieder dieselbe Platte auf. So auch der ›gache Toni’, ein echter Gauner vom Grund, dessen Speisekarte länger war als jene des Restaurants im Hotel Sacher. Es gab eigentlich kaum eine Straftat, die Anton Deutsch noch nicht begangen hatte. Und obwohl man ihm attestierte, wieselflink zu sein, woher auch sein Spitzname rührte, hatte er sich immer wieder als nicht schnell genug erwiesen. Allein seit der Ausrufung der Republik vor mehr als sieben Jahren war er dreimal eingefahren: wegen Zuhälterei, wegen schwerer Körperverletzung und wegen Einbruchs. Erst seit Kurzem befand er sich wieder auf freiem Fuß, nachdem er fünf Jahre am Felsen abgerissen hatte, die ihm vom Gericht dafür aufgebrummt worden waren, dass er einen Rivalen am Strich einen Lungenstich verpasst hatte. Diese fünf Jahre freilich waren genug gewesen, um Deutsch aus dem Geschäft mit den Venuspriesterinnen zu drängen, und so musste er sich zwangsläufig seiner Kernkompetenz besinnen, und die bestand im Einbrechen. Dafür hatte Deutsch schon in der Monarchie mehrmals Schmalz ausgefasst, und so schien es naheliegend, den gachen Toni für den Einbruch in der Kleinen Sperlgasse verantwortlich zu machen, zumal diese nur wenige Meter von seinem Stammcafé, dem ›Café Klein‹ in der Hollandstraße, entfernt war.
    Das wäre nun für einen Major der Mordkommission weiter keine Angelegenheit gewesen, die ihn zu kümmern brauchte, wenn nicht, ja, wenn es diesmal nicht auch einen Toten gegeben hätte. Offenbar war der Einbrecher von der Haushälterin der Wohnungsinhaber überrascht worden und hatte diese in seiner Panik erstochen. Und genau diese Tötungsart deutete eben auf Deutsch hin, von dem alle wussten, dass er mit dem Messer stets schnell zur Hand war. Zumindest in dieser Hinsicht verdiente er sich seinen Spitznamen immer noch. Doch eines machte Bronstein stutzig. Bislang hatte Deutsch noch nie jemanden ermordet. Schon gar keine Unbeteiligten. Innerhalb der Galerie konnte er schon einmal grob werden, aber bei seinen sonstigen Delikten achtete er stets penibel darauf, dass niemand zu Schaden kam, was, würde er erwischt, das Strafmaß deutlich verringerte. Und deshalb glaubte Bronstein eigentlich nicht, dass er mit Anton Deutsch den richtigen Mann im Visier hatte. Doch es konnte natürlich sein, dass der Toni auf seine alten Tage unvorsichtig wurde. Fünf Jahre in Stein an der Donau konnten einen Mann mürbe machen, vor allem, wenn

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