Mischpoche
»Du bist schon dort?«
»Ja. Aber das, was es da hat, das wird dir ned g’fallen, Major.«
Bronstein unterdrückte die in ihm aufsteigende Sorge und versuchte stattdessen, nachhaltigen Groll zu generieren.
»Pokorny«, knurrte er drohend, »spuck’s aus! Was ist los? Und ich rate dir, komme ohne Umschweife zur Sache, sonst vergess’ ich mich hier und jetzt!«
»Der Bettenreiter …«
»Bettauer!«, schrie Bronstein zornbebend.
»Ja, der …, der ist … na ja …, der liegt da. … Aber wir haben ihn, Major!« Die letzten Worte waren eilig hinzugefügt worden, als ob sie darauf abzielen sollten, den ersten Worten die Schärfe zu nehmen. Dennoch schwante Bronstein Fürchterliches.
»Was heißt, er liegt da? Und wen habt ihr? Sprich deutlich, Mensch!«
»Na, den Täter. Er hat sich mir sofort ergeben. Das heißt, mir, dem Fräulein Lang und zwei Herrschaften, die auch wegen der Sprechstunde da waren.«
»Den Täter?« Bronstein schlug mit der Faust auf den Tisch. Es war offenkundig, dass er es vermasselt hatte.
»Ja, das Fräulein Lang sagt, es ist genau der, der was in der Früh schon da g’wesen ist. Der ist um halb drei noch einmal kommen und hat dem Herrn Betten …, dem Chef da aufgelauert. Dann hat er sich Zutritt zum Büro verschafft und gleich g’schossen. Fünfmal. In Brust, Arme und Hände… Das gnädige Fräulein sagt g’rad’, direkt vorgedrängt hat er sich. Eigentlich wären vor ihm noch zwei andere Herrschaften drang’wesen. Aber anscheinend hat er’s nicht erwarten können, der Lump, der.«
Bronstein hatte Mühe, nicht den Hörer aus der Hand fallen zu lassen. Eine solche Katastrophe war ihm schon lange nicht mehr widerfahren. Wenn es erst ruchbar wurde, wie sehr er sich in dieser Angelegenheit verschätzt hatte, dann war es um seinen Ruf als Kriminalist geschehen. Jetzt, so wusste er, konnte er nur noch versuchen, den Schaden in irgendwelchen Grenzen zu halten.
»Pokorny, bleib’ dort. Ich komm sofort hin!«, rief er in den Hörer, ehe er selbigen auf die Gabel knallte. Dann riss er ihn wieder aus seiner Halterung und kurbelte nach dem Fräulein vom Amt: »Einen Einsatzwagen, aber sofort!«, schrie er, ehe er aufsprang, im Vorbeihasten seinen Mantel griff und die Stiegen hinab ins Parterre eilte.
Zehn Minuten später war er am Tatort angekommen. Die Sanitäter trugen eben den schwer verletzten Bettauer, der sichtlich ohne Bewusstsein war, die Treppe abwärts. In der Tür zur Redaktion stand eine Frau, die hemmungslos weinte, und die Frau Lang, die durch Bronstein hindurchsah, als wäre er Luft.
»Ich weiß, gnädiges Fräulein, was Sie sich jetzt denken. Aber glauben Sie mir, das hat keiner kommen sehen können.«
»Ich hab’s kommen g’sehen«, sagte sie kalt und wandte sich ab. Bronstein wusste, dass er hier vorerst nichts ausrichten konnte, und konzentrierte sich auf seine Aufgabe als Ermittler. Wie sich herausstellte, war der Täter ein arbeitsloser Herumtreiber, der noch bei seinen Eltern in der Margaretner Jahngasse wohnte. Er bezeichnete sich als Mitglied der NSDAP und erklärte, er habe Bettauer erschossen, weil dieser mit seinem jüdischen Schweinekram die deutsche Jugend verderbe. Der Mann, und das war neben dem Umstand, dass Bettauer noch lebte, das einzig Positive, war in vollem Umfang geständig, sodass die Ermittlungen vor Ort recht rasch abgeschlossen waren. Dennoch verließ Bronstein die Redaktion wie einst Varro das Schlachtfeld von Cannae.
Erst sieben Monate später wagte Bronstein, mit dem Fräulein Lang, dessen Adresse im Zuge der Ermittlungen aktenkundig geworden war, wieder in Verbindung zu treten. Er schickte ihr einen Brief, genau genommen die zwölfte Version eines Schreibens, an dem er seit dem Herbstbeginn gearbeitet hatte. Und dennoch ähnelte es weit eher einem Telegramm als einer Epistel.
›Sehr geehrtes Fräulein Lang. Ich bin mir sicher, Sie haben mich nicht in guter Erinnerung behalten. Deshalb habe ich auch sehr lange gezögert, noch einmal bei Ihnen vorstellig zu werden. Ohne Erwartung, doch mit dem kleinen Hauch einer Hoffnung, Gnade für mein Fehlen von Ihnen erhalten zu dürfen, möchte ich Ihnen dennoch erneut kundtun, wie sehr es mich schmerzt, diese eminente Situation damals so grausam falsch eingeschätzt zu haben. Sehen Sie, Fräulein Lang, wir Polizisten sind eben auch nur Menschen und als solche nicht minder fehleranfällig als jeder andere Mensch auch. Dessen ungeachtet bin ich mir natürlich bewusst, dass sich unsere Fehler
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