Miss Braitwhistle kommt in Fahrt
rot geworden, und dann hat sie gesagt: »Das Haus hier ist so alt, das sieht fast aus wie ein Hexenhaus.«
»Es gibt keine Hexen«, hat Miss Braitwhistle streng gesagt. »No way!«
»Natürlich nicht«, hat Aki gesagt. »Hexen, so ein Quatsch.«
Miss Braitwhistle hat eine Augenbraue hochgezogen. »Eine Hexe es gibt nicht hier, aber … eine Ghost.«
Ghost? Ein Gespenst? Wunderbar. Wir waren trocken, wir waren satt, wir waren genau in der richtigen Stimmung für ein Gespenst.
Nur Annalisa nicht, die jammerte: »Ich hab aber Angst vor Gespenstern. Gespenster sind viel ekliger als Hexen.«
Und Hugo hat die Backen aufgeblasen und gesagt: »Meine Mutter sagt immer, Gespenster gibt’s nur in schlechten Filmen.«
»Ist das so?«, hat Miss Braitwhistle gesagt. »Well, wer von euch hat Lust zu sehen eine Gespenst, kommt mit mir.«
Natürlich hatten wir alle Lust und sind hinter ihr her und eine schmale Treppe hoch. Die Dielen haben schon so richtig unheimlich geknarrt. Miss Braitwhistle hat eine Tür aufgemacht, die hat fast so doll gequietscht wie der Dudelsack von dem Mann im Schottenrock.
Das Zimmer war leer. Na ja, nicht richtig leer, da haben Möbel drin gestanden, aber es lagen weiße Tücher darüber.
»Gespenstertische und Gespensterstühle«, flüsterte Aki.
»Ihr musst nicht sein leise, das Gespenst nicht hat Angst vor euch«, meinte Miss Braitwhistle. Dann hat sie die Tücher von den Stühlen gezogen und gesagt, wir sollen uns hinsetzen.
Die Stühle waren sehr klein und nicht sehr bequem. Ich hätte gern das weiße Tuch weggezogen, das über dem Tisch vor uns lag, hab mich aber nicht getraut.
»Und was machen wir jetzt, Miss Braitwhistle?«, hab ich gefragt.
»Wait and see«, hat sie gesagt. »Abwarten und Tee trinken.«
Aber Tee hat nur sie getrunken, wir mussten warten.
»Gespenster kommen erst um Mitternacht«, hat Clemens gesagt. Er kennt sich wirklich mit allem aus, sogar mit Gespenstern.
»Aber so lange kann ich nicht hierbleiben«, hat Polly gesagt. »Wenn ich zu spät aus der Schule komme, macht sich meine Mutter Sorgen.«
»Meine Mutter macht sich auch Sorgen, wenn ich zu spät komme«, hat Molly gesagt.
»Ihr seid vielleicht doof, ihr habt doch die gleiche Mutter«, meinte Pauline.
Miss Braitwhistle hat den Finger auf die Lippen gelegt und »Schh« gemacht.
Dann haben wir es gehört. Einen Glockenschlag und noch einen und noch einen, genau zwölf.
Aki hat mich angeschaut und ich hab Aki angeschaut. Es konnte doch höchstens zwölf Uhr mittags sein.
Plötzlich wehte ein kalter Wind durch den Raum, die weißen Tücher, die noch über den Tischen lagen, haben sich bewegt, und dann kam eine Frau. Und zwar nicht etwa durch die Tür, nein, sie kam direkt aus der Wand. Die Frau hatte wirres Haar, eine schlammfarbene Strickjacke und einen Rock an. Sie erinnerte mich an jemanden. An jemanden, den ich nicht leiden konnte.
»Sie sieht aus wie Frau Sauermann«, hat Aki mir zugeflüstert. »Genau«, hab ich zurückgeflüstert. »Nur irgendwie durchsichtiger.«
»Wer ist das?«, hat Henni gefragt. »Wieso kommt die durch die Wand?«
»Weil sie ein Gespenst ist, darum«, hat Clemens gesagt.
»Was will die?«, hat Annalisa gejammert. »Die sieht total gruselig aus!«
»Keine Angst, children, das ist Missis Sulky«, hat Miss Braitwhistle gesagt. »Sie ist harmlos.«
Missis Sulky hat gar nichts gesagt, sie hat die weißen Tücher von den Tischen gezogen, und jetzt sahen wir, wo wir gelandet waren.
In einem Klassenzimmer!
Es sah so ähnlich aus wie bei uns in der 4a und doch wieder ganz anders. Die Tischplatten waren schräg und hatten an der Seite eine kleine Klappe. Natürlich hat Aki gleich geguckt, was unter der Klappe war.
»Sieht aus wie ein Tintenfass«, hab ich gesagt.
Missis Sulky hat mich finster angeguckt und wieder erinnerte sie mich an Frau Sauermann, die guckt auch immer so. Wir haben gedacht, gleich sagt sie was, aber ihr Mund war nur ein dünner Strich. Dann ist sie zwischen unseren Tischen herumgeschwebt, und als sie an Aki und mir vorbeikam, haben wir uns die Nase zugehalten. Missis Sulky roch wie ein alter Keller, modrig und verschimmelt.
Sie hat jedem von uns einen Zettel hingelegt, dann ist sie wieder durch die Wand verschwunden. Wir waren nicht traurig, Missis Sulky war wirklich ein sehr langweiliges Gespenst. Wir haben uns die Zettel angeguckt, vielleicht war es ja eine geheime Botschaft, ein Zauberspruch oder so. Von wegen, es stand ganz groß Radfahrprüfung
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