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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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einfühlsame, mitreißende und überraschende Geschichte.«
Udo Bartsch in Westdeutsche Zeitung

    Â»Chantal Schreiber schreibt von Vorurteilen, Selbstzweifeln und wie wichtig die inneren Werte sind. Ein Roman zum Nachdenken, Lachen und Mitleiden.«
Leonore Sprenger in Westfälische Nachrichten



Für Sonja
und
für alle dick Angezogenen

1.
    Â»Du bist der schwärzeste Mann, den ich je gesehen hab.«
    Oh Gott, hab ich das gerade wirklich gesagt? Ich weiß schon, dass ich das gedacht habe, als er sich neben mich gestellt und wie ich die Hand über die Augen gelegt hat, um sie gegen die Sonne zu schützen und das Objekt auf dem Dach besser sehen zu können. Er hat dabei ein bisschen die Nase gerümpft und seine Lippen haben seine Zähne freigegeben. Der Schwarz-Weiß-Kontrast hat mich umgehauen. Aber wer außer mir spricht so was aus? Wer hat so wenig Kontrolle?
    Er hat meinen Blick bemerkt und mich angesehen, mit leicht angehobenen Augenbrauen, fragend, ein bisschen amüsiert, und da ist es mir einfach rausgerutscht. Dabei bin ich eigentlich schüchtern und spreche nicht mal dann Menschen grundlos an, wenn ich sie kenne . Ich sage ewig gar nichts und dann passiert so was: Die unmöglichsten Worte explodieren einfach aus meinem Mund. Gibt es nicht normalerweise so was wie eine Zensurstelle zwischen dem Ort, an dem Worte entstehen, und dem, an dem sie hörbar werden? Der schwärzeste Mann . Ich fass es nicht. Ich weiß ja nicht mal, ob es überhaupt politisch korrekt ist, »schwarz« zu sagen, oder ob es »farbig« heißen muss oder »von afrikanischer Herkunft« oder …
    Was auch immer, es ist komplett egal, wie man jemanden mit so dunkelschwarzer Haut korrekterweise nennt, denn in einer Zehntelsekunde wird er die einzig logischeAntwort auf einen so unglaublich dummen Satz geben. »Und du bist das dickste Mädchen, das ich je gesehen hab.«
    Das wird er sagen. Ich hab ihn ja praktisch dazu gezwungen. Ich selbst würde das zu mir sagen. Vielleicht geht er noch einen Schritt weiter und sagt »fetteste« statt »dickste«. Auch wenn das, was ich zu ihm gesagt habe, natürlich nicht im Geringsten abwertend gemeint war, sondern nur Ausdruck des Staunens. Über diese ebenmäßig schwarze Haut, aus der das Weiß seiner Zähne auf geradezu unwirkliche Art hervorleuchtet. Bewunderndes Staunen. Der schwärzeste Mann, den ich je gesehen habe. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich das wirklich gesagt habe.
    Ich wappne mich.
    Er sieht mir direkt in die Augen. Er lächelt. Herablassung kommt in vielen Verkleidungen, muss ich denken, ich hab es oft genug erlebt.
    Â»Und du …«, sagt er.
    Ich kann nicht anders, ich kneife die Augen zu, alles in mir zieht sich zusammen, bereitet sich auf den Schlag vor, der unweigerlich kommen wird.
    Â»â€¦ du hast die schönsten Augen, die ich je gesehen habe.«
    Na bitte, jetzt ist es raus, jetzt hat er … Was??? Ich reiße die Augen wieder auf und starre ihn ungläubig an. Aus seinem Lächeln wird ein Lachen. Ein Lachen, in dem keine Spur von Herablassung ist. Er weidet sich einfach nur daran, dass ich dreinschaue wie ein Schaf in der Geisterbahn. Und als er so loslacht, klingt er doch mehr wie ein Junge als wie ein Mann. Aber er ist eindeutig älter als ich.
    Â»Sag bloß, das hat dir noch nie jemand gesagt?«
    Ich fasse mich endlich so weit, dass ich wieder Worte formulieren kann. Diesmal etwas überlegter als zuvor. »Niemand außer meinem Vater. Und der ist parteiisch.«
    Â»Ich gebe das nicht gerne zu«, antwortet er ernsthaft, »aber ganz, ganz selten kommt es vor, dass Väter recht haben.«
    Ich kann nicht anders, ich bin immer noch misstrauisch. Ich warte immer noch, dass sein Lächeln plötzlich bösartig wird und er mich höhnisch fragt, ob ich im Ernst glaube, dass er irgendwas an so einer fetten Kuh wie mir schön findet. Letti sagt immer, ich soll mich nicht selbst eine »fette Kuh« nennen, von wegen Selbstwert und selbsterfüllende Prophezeiung. Aber bei hundertneunzehn Kilo verteilt auf einen Meter neunundsechzig, was soll mir da noch passieren, prophezeiungstechnisch?
    Ich weiß schon, was sie meint: positiv denken, auf ein schlankeres Ich »zuleben«, indem ich mir immer vor Augen halte, wie ich aussehen könnte . Und mich niemals selbst abwerten. Dabei tu ich das gar nicht. Fett ist eine

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