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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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abwechselnd krebsrot und leichenblass – und schweigt. Mann, Isa! Bronchitis! NATÜRLICH weißt du das! Abhören der Atemwege, Blutuntersuchung, Bildgebung der Lunge. Ganz einfach. Isa wirkt den Tränen nah. Völlige Blockade.
    Ich murmele: »Blut, Lunge, Röntgen.« Zack, zeigt der Finger wieder auf mich.
    Â»Sie!« Gott sei Dank, denke ich und will Isa erlösen, indem ich selbst schnell Diagnose und Therapie aufsage. Doch der Chefarzt schüttelt den Kopf. »Sie – sind mal ganz still!« Ich schweige erschrocken. Fehlanzeige. Und dann passiert es. Eine einsame kleine Träne tropft vor Isa auf den Fußboden.
    Die Mittagspause ist ein Trauerspiel. Isa sitzt auf der Damentoilette und weint sich die Augen aus dem Kopf. Unmöglich traut sie sich noch mal irgendwohin, wo sie dem Chefarzt unter die Augen kommen könnte. Oder Dr. Thalheim. Oder Marie-Luise. Schließlich gehe ich allein in die Cafeteria, um uns wenigstens eine Notverpflegung zu organisieren. Der blauhaarige Junge trägt heute unter der Kochschürze eine grellgelbe Lederhose. An jedem anderen Tag hätte ich mich über diesen Mode-Fauxpas köstlich amüsiert. Heute habe ich andere Sorgen. Der Blauhaarige hat wenigstens Mitgefühl; er stellt mir eine Kanne Tee auf das Tablett und erklärt, weißer Tee könne Trost spenden und Ruhe schenken. Dieser Tee gehört nicht zum Cafeteria-Angebot, er stammt aus seinem Privatvorrat. Aber für Notfälle wie Isa gibt es nichts Besseres. Keine Ahnung, woher er von Isas Desaster weiß. Ich danke ihm, bringe Isa den Tröstertee und teile mir mit Jenny im Klovorraum eine Rolle Kekse, weil wir unsere leidende Freundin nicht allein lassen wollen.
    Irgendwann schaut die mürrische Schwester Klara in die Toilette. Jenny soll die Laborbefunde holen. Jetzt. Mit einem trockenen Klapp fällt die Tür ins Schloss, ehe Jenny protestieren kann. Jenny sagt nur dreimal »die kann mich mal«, nimmt noch zweimal einen letzten Keks und adressiert einen letzten Aufmunterungsspruch an Isa – dann geht sie, um der unbequemen Aufgabe nachzukommen. Die Mittagspause ist eh verdorben und wir sind alle heute etwas demütiger geworden durch Isas Pech. Ich verfüttere die letzten Kekse an Isa und höre mir an, dass sie NIE, NIE wieder aus diesem Klo rauskommt. Ich bleibe bei ihr, bis die Mittagspause doppelt überzogen ist und mich dasschlechte Gewissen den Patienten gegenüber förmlich mit Fangzähnen beißt. Seit heute habe ich also eine innige Beziehung zu den Krankenhausdamentoiletten.
    Den Nachmittag verbringe ich wie im Zeitraffer. Isa ist endlich wieder aus dem Rückzugsklo aufgetaucht und schiebt hektisch ihren Wagen durch die Gänge, immer auf der Flucht vor den Ärzten. Ich versuche, ihr regelmäßig zu begegnen und aufmunternde Dinge zu sagen und gleichzeitig mein Pensum vom Vormittag aufzuholen. Erst gegen Abend finde ich Zeit, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen und mich endlich einmal der alten Frau Klein zu widmen. Als ich mich an ihr Bett setze, lächelt sie und nimmt meine Hand. Ich bin gerührt, dass sie sich so freut, mich zu sehen. Frau Klein hat Brustschmerzen, Husten und Fieber – und die Antibiotika machen ihr zu schaffen. Doch kaum hat sie ihre Beschwerden abgehakt, fragt sie, wie es MIR denn gehe. Ich erzähle von der Chefarztvisite – und ehe ich mich versehe, sind wir mitten im Gespräch. Frau Klein war früher Lehrerin und lächelt, als ich den Chefarztfinger nachmache. Diese Fragestrategie soll bewirken, dass alle Schüler dem Unterricht folgen – sozusagen der göttliche Finger, der einen jederzeit treffen kann.
    Frau Klein schmunzelt. »Er sichert damit seine Autorität … und erspart sich die Mühe, Ihre Namen zu lernen.«
    Ich lächle. Klar waren wir alle eingeschüchtert. Wie schön zu hören, dass wir nur einer simplen Psycho-Strategie folgen. Frau Klein erzählt von der Schule. Von ihren Schülern, wilden und feinsinnigen, aufmüpfigen und ehrgeizigen.
    Â»Ich konnte sie alle einordnen«, sagt sie ein wenig sehnsüchtig. »In jeder neuen Klasse wusste ich nach zwei Tagen, wer der Clown sein und wer Schulsprecher werden wollte.« Frau Kleins Stimme kiekst. Einmal haben ihre Schüler sie im Vorbereitungsraum eingeschlossen, um eine Klassenarbeit zu verhindern. Frau Klein ist aus dem Fenster gestiegen und hat sich einen

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