Miss Emergency
ihre Ãberlegenheit ringt. Zum ersten Mal ist er nicht der freche Patient, der mich mit wilden Sprüchen provoziert. Ich sitze an Manuels Bett und fühle mich ausgelaugt. Wie konnte ich das übersehen?! Wie konnte ich glauben, er sei meinetwegen heute Morgen so schweigsam gewesen? Nachdem ich ihn erwischt habe, versucht er nicht mehr, mir etwas vorzumachen. Er hat Kopfschmerzen, ihm ist übel und schwindlig. Manuel muss dringend noch einmal untersucht werden. Vielleicht doch ein epidurales Hämatom? Ich wage es nicht auszusprechen. Vielleicht gibt es doch eine Bruchstelle oder eine Blutung. Manuel muss nochmals geröntgt werden und braucht eine Computertomografie. Er liegtstill, wirkt erschöpft. Ich erkläre ihm, was passiert sein kann. Er tut mir wahnsinnig leid.
»Wie lange?«, fragt er. Doch darauf kann ich nun wirklich nicht antworten. Und dann nimmt er meine Hand und fragt: »Müssen wir das sagen?«
Wie ein kleiner Junge liegt er in dem weiÃen Bett. Natürlich muss ich es sagen. Ich muss Dr. Thalheim informieren und einen CT-Termin klarmachen. Sofort. Wie konnte Manuel das nur verheimlichen?
Er sieht mich an. »Ich wollte nach Hause.« Kurz bevor mir die Tränen kommen, lächelt er schwach. »Du weiÃt schon. Zu meinem Teddy.« Danke, Blödmann. Sonst hätte ich jetzt fast geweint vor Mitleid.
Das Gespräch mit Dr. Thalheim geht schnell. Ich berichte, er ruft in der Radiologie an, Schwester Klara wird losgeschickt, Manuel hinunterzubringen, Dr. Thalheim fährt mit. Ich werde nicht mehr gebraucht. Verdattert stehe ich vor Dr. Thalheims Zimmer. Jetzt erst kommt an, was er gesagt hat, als er ging. »Fräulein Weissenbach, bitte kommen Sie zum Feierabend noch mal in mein Büro.«
Na klar. Auswertung. Manuel hat uns beschwindelt und ich habe es nicht bemerkt. Stattdessen habe ich sein Ich-bin-nicht-brav-Theater nur als Anmache, als Machtspiel betrachtet. Sogar seine plötzliche Schweigsamkeit habe ich in völliger Selbstüberschätzung auf mich bezogen. Dass er auch Dr. Ross angelogen hat, spielt sicher keine Rolle. Ich hätte merken müssen, dass mit ihm etwas nicht stimmt.
Ich schleiche über die Flure. Bald geht mir auf, wie schäbig es ist, mir über die anstehende Standpauke des Oberarztes Gedanken zu machen. Super, Lena. Dein Patient hat vielleicht eine lebensgefährliche Hirnblutung und du überlegst dir Rechtfertigungen dafür, dass du die Symptome nicht bemerkt hast?! Ich kann mich selbst nicht leiden. In diesem Moment passiere ich im unteren Gang den Krankenhausshop. Gibt es etwas noch Deprimierenderes? Trostlose BlumensträuÃe verblassen angesichts derschrillen Farben der Eimer, in denen sie ertrinken. Darüber hängen GruÃkarten mit Texten, die jeden Genesenden in seinem Heilungsprozess bedrohlich weit zurückwerfen müssten (Ein Igel schleppt einen Blumenstrauà und tönt: »Eine Spritze ist auch nur ein Piks.«). Aber ganz hinten im Regal, zwischen angestaubten Rätselheften und überteuerter Schokolade, die sicher ebenso staubig schmeckt, sitzt ein Teddy. Nicht mal kitschig, einfach ein kleiner Braunbär mit Knopfaugen. Den kaufe ich.
Manuel ist noch nicht wieder im Zimmer. Zum Glück; ich wollte mich nicht unbedingt mit dem Teddy erwischen lassen. Ich lege den Bären aufs Bett und verschwinde wieder. Vor dem Gespräch mit Dr. Thalheim habe ich keine Angst mehr. Ich habe mir selbst schon so den Kopf zurechtgerückt, dass mich Thalheims Standpauke nicht mehr schrecken kann. Wenn er nicht gerade brüllt. Oder mich rauswirft. Na super, Lena, jetzt hast du doch wieder den Teufel an die Wand gemalt.
Dr. Thalheim tut nichts dergleichen. Ich entschuldige mich wortreich, er sagt nichts. Irgendwann verstumme ich. Dann lächelt er. »Nehmen Sie Platz.«
Dem SHT geht es gut, sie machen noch ein paar Untersuchungen, aber es ist möglich, dass die Ãbelkeit nur von der fehlenden Schonung kam. Wie er gehört hat, hat sich das SHT nicht an die Bettruhe gehalten.
Jetzt erst begreife ich, dass er Manuel meint. Das SHT. Schädel-Hirn-Trauma. So reden wir Ãrzte. Das SHT auf der 16. Ich bin so froh darüber, dass mit Manuel wohl alles okay ist, dass ich sogar schon daran denke, ob es besser wäre, den Teddy wieder verschwinden zu lassen. Denn einem Jungen, der keine lebensbedrohliche Hirnblutung hat, einen Teddy zu schenken, bedeutet doch etwas anderes. Etwas, was
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