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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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wahrscheinlich niemals Arzt. Toll, Lena, du kannst in einem einzigen pessimistischen Gedankengang eine ganze Biografie ruinieren. Ich lehne mich an die Wand, drücke die Daumen und schiebe konzentriert gute Gedanken durch dieRoss-Bürotür. Und ich zähle wieder: diesmal die Erhebungen auf dem Milchglasfenster der Tür. Der Schwierigkeitsgrad ist der Brenzligkeit der Situation angemessen. Wenn es eine gerade Anzahl ist, wird Isa nichts passieren.
    Ich habe mich etwa zehn Mal verzählt und neu angefangen, als Jenny über den Flur hastet. »Warum erfahr ich das erst jetzt?!« Auch sie will unserer Freundin mental beistehen – und im Gegensatz zu mir bleibt sie nicht bangend auf dem Gang stehen wie ein Lämmchen, sondern legt kurzentschlossen das Ohr an die Tür.
    Â»Hörst du was?«
    Â»Psst!«, macht Jenny und schließt konzentriert die Augen. Ich gehe auch einen Schritt näher heran, um mir den Überblick über die Milchglasfenstererhebungen einfacher zu machen. Ich weiß gar nicht, wie es kommt, dass ich plötzlich (natürlich immer noch sorgfältig zählend) ebenfalls mein Ohr an den weißen Lack drücke.
    Â»Das sehen Sie doch sicher ein?«, klingt Dr. Ross’ Stimme durch die Tür.
    Was?! Wäre ich doch früher auf die Idee gekommen, mitzuhören! (Isa macht es sicher nichts aus!) Isa antwortet, aber sie spricht zu leise, als dass man auch nur ein einziges Wort verstehen könnte. Und dann – WARUM habe ich es nicht kommen sehen?! – sagt jemand hinter uns: »Die fleißigen PJlerinnen lassen sich kein Wort ihrer Stationsärztin entgehen.« Ich versuche noch schnell, meinen Kopf unauffällig in schickliche Entfernung zur Tür zu bringen. Vergiss es, Lena. Du kannst ihm nicht mehr weismachen, du hättest nur dabeigestanden. Er hat euch gesehen. Beide.
    Langsam drehe ich mich um. Ist er sehr sauer? Dr. Thalheims Gesicht ist unbewegt. Oh Mann, was muss er nur von mir denken?! Ich will zu einer Erklärung ansetzen. Aber was zur Hölle sagt man? (Sorry, wir waren müde? Die Tür ist so schön weich? Wir trainieren unseren Meatus acusticus?) Ehe mir eine halbwegs passende Entschuldigung einfällt, lächelt Jenny dem Oberarztoffen ins Gesicht. »Sind Sie etwa nie neugierig?«, fragt sie in einem Tonfall, den man schon als aufmüpfig verstehen könnte. Was die sich traut! Wenn ich Thalheim wäre – es könnte gut sein, dass ich jetzt ausflippen würde.
    Â»Doch«, entgegnet er ungerührt. »Aber erstens habe ich etwas mehr Selbstbeherrschung als Sie. Und zweitens weiß ich in diesem Fall schon Bescheid.«
    Ach, na toll. Aber dann weiß er ja wenigstens, dass wir Dr. Ross quasi in eigener Sache belauschen. Vielleicht gibt das mildernde Umstände? Jenny tritt einen Schritt näher an den Oberarzt heran. Hat sie gar kein schlechtes Gewissen? Siegen Frechheit und Unschuld tatsächlich immer?
    Â»Dann sagen Sie uns doch, was los ist!«, schmeichelt sie.
    Er zieht die Augenbrauen hoch. »Lauschen Sie doch noch ein wenig, dann erfahren Sie es vielleicht.«
    Ich schäme mich in Grund und Boden. (Aber irgendwo ganz hinten unten in meinem Hinterkopf registriert ein kleiner Teufel mit Genugtuung, dass er auf Jennys Um-den-Finger-wickel-Masche nicht anspringt.) Jenny ist gekränkt. Selbst sie ist nicht so unverfroren, wieder den Kopf an die Tür zu legen, solange der Oberarzt danebensteht. Wir warten. Er wartet. Sehr unangenehm. Ich möchte dringend aus seinem Blickfeld verschwinden. Aber ich will hier sein, wenn Isa herauskommt. Bedeutet seine unbewegte Miene, dass alles gut ausgeht? Er würde doch hier nicht herumstehen und mit einer PJlerin Kräfte messen, wenn ihrer besten Freundin gerade die Zukunft ruiniert wird! Thalheims Blick wandert über unsere Wagen.
    Â»Wissen Sie, was mich wirklich stört?«, fragt er knapp. »Nicht, dass Sie lauschen. Weder Ihre Neugier noch Ihre Manieren interessieren mich. Aber das hier …« Er zeigt auf unsere Kanülenwagen. »Das wäre ein Grund, SIE zu feuern.«
    Er hat so recht, dass es kaum auszuhalten ist. Wer hat vorhin getönt »Das machen wir dann schnell«? Dieselbe, die sich am Wochenende so hochmütig in der Behauptung gesonnt hat, sie wolle Menschen helfen, Leben retten, wichtig sein?! Was meineich mit »dann schnell«? Dass wir von einem Patienten zum nächsten eilen und flott

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