Miss Emergency
gut!).
Jenny verbringt den Samstag bei Ron und lässt sich nur zu der Premiere mitschleppen. Aber Isa und ich unterhalten uns auch allein richtig gut. Sie erzählt mir aus ihrer Kindheit in der Kleinstadt und so viel ist mir herzbewegend vertraut. Die langen Nachmittage, die Blumenampeln und Wintergärten, Fahrradtouren und Meerschweinchen. Wie ich weià auch Isa seit der Mittelstufe, dass sie Ãrztin werden möchte. Im Studium habe ich so viele Leute getroffen, die den Beruf wegen ihrer Eltern gewählt haben â oder weil sie das Medizinstudium nun mal als logische Konsequenz aus einem Einserabitur betrachten. Selbst Jenny hätte sich ohne ihren Vater und die familiäre Arzt-Tradition sicher für ein fröhlicheres Studium entschieden.
Es tut gut, mit Isa über unsere Träume und Erwartungen an das Arztleben zu sprechen. Zum ersten Mal komme ich mir nicht vermessen oder naiv vor, wenn ich erzähle, dass ich Leben retten möchte. Eigentlich hört sich das ja immer nach Klischee an. Gutes tun, etwas erreichen, helfen. Ich will nicht einfach nur da sein. Isa versteht das.
Nur das Stadtteilfest am Sonntagnachmittag hängt noch unbesprochen über unseren Häuptern, als wir uns auf ein Stück Kuchen im Eckcafé treffen. Isa beteuert, sie ginge nur kurz Menschen gucken. Jenny meidet solche Feste ohnehin, ihrer Meinung nach sind dort nur Familien und Prolls. Ich könnte mir ehrlich gesagt auch einen Abend in der Badewanne vorstellen, doch mich kitzelt die Neugier, mit wem Isa verabredet ist. Also behaupte ich noch zweimal, ich käme gern mit ⦠bis Isa kapituliert. Als Jenny bezahlen geht, beugt sich Isa zu mir und flüstert: »Ich MUSS allein gehen, Lena, bitte! Es tut mir leid!«
Ich lächle, ganz überrascht. »Bist du etwa verabredet?«, frage ich, als fiele mir diese Möglichkeit eben erst ein.
In diesem Moment kommt Jenny zurück. Isa kneift die Lippen zusammen und sieht mich regelrecht flehend an. Ich wechsle also das Thema â und fange Isas dankbaren Blick auf. Sie nickt unmerklich. Ich hatte recht.
Als ich mit einem Schmöker (wann habe ich zum letzten Malein Nicht-Fachbuch gelesen?!) in der Wanne liege, kommt Jenny ins Bad. An diese Art Gemeinsamkeit bin ich nicht gewöhnt, doch Jenny findet offenbar nichts dabei, sich für ihr Date fertig zu machen, während ich bade. Mitten im Augenbrauenzupfen fragt sie wie aus dem Nichts: »Hat Isa eigentlich ein Date?«
Ich verschlucke mich fast vor Schreck. Jenny zeigt mit der Pinzette auf mich. »Nie im Leben ist die allein auf dem Fest!« Ich finde, wenn sie es schon von selbst anspricht, kann ich mich auch auf die Unterhaltung einlassen â immerhin habe ich nichts verraten. Jenny liebt Geheimnisse und ist überzeugt, Isa durchschaut zu haben: Ihrer Meinung nach ist es der bebrillte Paul.
»Merkst du nicht, wie die sich beim Mittagessen immer zuzwinkern?«
Mir ist so etwas nie aufgefallen (ich glaube auch nicht, dass Isa der Zuzwinker-Typ ist), aber meine Ruben-Theorie schmettert Jenny mit einer vernichtenden Geste ab. »Viel zu schräg.« Sie lacht mich an. »Das werden wir rausfinden, okay?«
Ich nicke, auch wenn mir nicht ganz wohl dabei ist. Jennys Art zu spionieren ist sicher nicht sehr dezent. Auf einmal wird Jenny still und setzt sich nachdenklich neben meine Badewanne.
»Meinst du, sie hat es meinetwegen verheimlicht? Bin ich zu aufdringlich?«
Ich bin irritiert über Jennys plötzliche Selbsthinterfragung. Aber würde ICH Jenny erzählen, dass ich mich verliebt habe? Würde ich nicht befürchten, dass sie den Kandidaten rücksichtslos unter die Lupe nimmt? Oder dass ich selbst vielleicht umgehend abgemeldet wäre? Ich beruhige Jenny mit der Beteuerung, Isa sei einfach generell schüchtern. Aber irgendwas bleibt doch hängen. Jenny hat einen unerwarteten Moment von Einsicht und Selbstkritik.
»Ich nehme mir immer vor, nicht so aufzudrehen und mich nicht überall einzumischen und nicht immer vorzudrängeln. Aber ich mach das nicht mit Absicht! Mir ist einfach so schnell langweilig.« Treuherzig sieht sie mich an. »Bin ich eine schlechte Freundin?«
Ich muss lachen. Aus der Frage spricht so deutlich der Wunsch nach Lob und Bewunderung. Ich puste Jenny eine Handvoll Schaum ins Gesicht und sage: »Hör auf, du Spinnerin! Wir lieben dich doch!« Dann entdeckt Jenny den pinkfarbenen Lippenstift,
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