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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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die Taschen packen. »Ich treffe ihn nicht mehr. Nie wieder.«
    Jenny antwortet nicht. »Ich geh noch aus«, sagt sie in meine Richtung. »Bis morgen also.« Dann ist sie verschwunden.
    Isa sinkt auf die Bank. »Was soll ich denn noch machen?« Ich weiß nicht, was ich ihr raten soll. Ich setze mich zu ihr. Ich sollte es ihr nicht noch schwerer machen. Aber ich muss es doch sagen. »Tom war echt bedrückt gestern …«
    Â»Ich weiß«, flüstert Isa. »Du kannst dir nicht vorstellen, was für traurige SMS er mir schreibt. Er ist total verletzt.«
    Â»Bist du sicher, dass du richtig entschieden hast?«, frage ich.
    Isa schüttelt den Kopf. »Aber ich bin nicht so«, sagt sie dann. »Das mit Jungs hält bei mir nie lange. Ich bin im Grunde langweilig und wenn sie das rausfinden, bin ich schnell wieder allein. Umso wichtiger muss es mir doch sein, Freundinnen zu haben!« Sie schluckt. »Eine Freundin wie Jenny hatte ich nie. Noch nie hat sich so eine für mich interessiert, hab ich Dinge erlebt wie mit euch … Das kann ich doch nicht für einen Jungen aufs Spiel setzen, der sich vielleicht nächste Woche schon eine andere sucht.«
    Ich weiß, dass ich den Mund halten sollte. Aber ich kann nicht. »Isa«, sage ich leise, »was ist, wenn Tom der Eine ist, der dich auch in fünfzig Jahren noch nicht langweilig findet?«
    Isa hat Tränen in den Augen. »Ich weiß …«, flüstert sie. »Und außerdem bin ich SO verliebt in ihn.«
    Ich sage so oft, dass Isa auch mal an sich denken sollte und Jenny vielleicht echt nur in ihrem Stolz gekränkt ist und sich bald wieder fängt, bis ich mir wie eine gesprungene Schallplatte vorkomme. Aber Isas wiederholte Nachfragen bedeuten wohl, dass sie es immer noch mal hören will. Nach einer Stunde verspricht sie, Tom anzurufen. Oder wenigstens darüber nachzudenken. Als Isa sich endlich auf den Heimweg macht, bleibe ich noch. Ich will nicht nach Hause. Stattdessen mache ich mich auf den Weg zur Intensivstation. Meine Füße sind schwer, als hätte ich seit Wochen nicht geschlafen.

A ußer der Herzaktion auf dem Monitor zeigt Frau Klein kein Lebenszeichen. Inzwischen ist mir alles hier vertraut. Hanna ist noch nicht da, aber auch die Tagschicht kennt mich schon und bietet mir Kaffee an. In Frau Kleins Zimmer hat sich nichts verändert. Ich denke über die Menschen nach, die Tag für Tag an so einem Bett sitzen. Vielleicht am Bett eines nahen Verwandten, vielleicht jahrelang. Hat man dann nicht das Gefühl, dass das eigene Leben auch stehen bleiben müsste? Wie kann man nach Hause gehen und Abendbrot essen, wenn er vielleicht in diesem Moment aufwacht? Wie schafft man es, das Krankenzimmer zu verlassen? Und wann hört man auf, an das Wunder zu glauben, daran, dass der eigene Kranke die Ausnahme ist? Je länger das Koma andauert, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der Patient wieder aufwacht. So einfach ist die Faustregel. Frau Klein liegt seit zwei Tagen im Koma, es beginnt ihre dritte Nacht.
    Erst als Schwester Hanna kommt, um mir den Tagesbericht zu zeigen, merke ich, dass es schon wieder fast zehn ist. Ich freue mich über Hannas Aufmerksamkeit, auch wenn der Bericht nichts Nennenswertes verzeichnet. Schwester Hanna fragt wieder, ob ich einen bequemeren Stuhl möchte, ich lehne ab. Kurz darauf kommt sie noch einmal und bringt eine Wolldecke. »Vielleicht bleiben Sie doch wieder die ganze Nacht«, sagt sie und legt mir die Decke auf den Schoß. Dann bin ich allein. Ich weiß nicht, warum ich hier warte. Vielleicht, weil ich insgeheimglaube, dass ich Frau Klein aufgebe, wenn ich gehe. Dass sie es merkt, wenn keiner mehr kommt – und dann kapituliert.
    Es ist kurz vor elf, als Dr. Al-Sayed in der Tür steht wie eine dunkle Fee. Sie kommt nicht herein, sieht mich nur an. »Haben Sie es sich überlegt?«, fragt sie.
    Â»Was?«
    Â»Ob Sie bleiben können.«
    Â»Ja«, antworte ich. »Ich bleibe.«
    Ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht. Es stimmt, das Gefühl, es nicht aushalten zu können, hat sich ein wenig verflüchtigt. Aber die Gewissheit kommt erst in diesem Moment, den festen Entschluss fasse ich erst jetzt, genau hier. Ich werde bleiben. Für mich gibt es nichts anderes.
    Dr. Al-Sayed lächelt mir zu. »Ich wusste es.« Sie dreht sich zur Tür. »Viel Glück. Vielleicht sehen

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